Nachweis der Unternehmereigenschaft im Reverse-Charge-Verfahren – BFH-Urteil V R 20/21 vom 31. Januar 2024

Damit sich bei einer von einem ausländischen Unternehmer erbrachten sonstigen Leistung die Steuerschuld nach § 13b Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 UStG auf den Leistungsempfänger verlagert, muss dieser Unternehmer sein. Ob dies der Fall ist, findet der Leistende idealerweise dadurch heraus, dass er die USt-ID abfragt und die Gültigkeit überprüft. Ein anderweitiger Nachweis der Unternehmereigenschaft ist zulässig, aber häufig mit einem gewissen Argumentationsaufwand gegenüber dem Finanzamt verbunden.

Sachverhalt

Die in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Unternehmerin X betrieb im Streitjahr 2015 einen Onlinemarktplatz. Den deutschen Verkäufern auf dieser Plattform stellte X eine umsatzabhängige Verkaufsgebühr in Rechnung, und zwar mit deutscher Umsatzsteuer, soweit sie keine Unternehmer waren, und ohne Umsatzsteuer mit Hinweis auf das Reverse-Charge-Verfahren, soweit die Verkäufer Unternehmer waren. Gegenstand des Rechtsstreits war die Frage, wie die Unternehmereigenschaft nachgewiesen werden muss und welche Mitwirkungspflichten hierbei Finanzamt und Finanzgericht treffen.

Verkäufer konnten sich auf diesem Marktplatz entweder mit einem privaten oder mit einem gewerblichen Konto (als Unternehmer) registrieren. Standardmäßig wurden sie als Privatperson angelegt. Wollten sie sich als Unternehmer registrieren, mussten sie u. a. Namen, Anschrift und Rechtsform, Branche, Handelsregisternummer und ihre USt-ID angeben. X überprüfte die Gültigkeit neu angelegter USt-IDs wöchentlich in der VIES-Datenbank. Darüber hinaus überprüfte sie alle USt-IDs noch einmal quartalsweise.

Bis Ende 2014 behandelte X nur Verkäufer als Unternehmer, bei denen eine gültige USt-ID vorlag. Ab 2015 stellte sie das Verfahren um: Soweit bei einem als gewerblich registrieren Verkäufer keine USt-ID angegeben oder diese ungültig war, prüfte X die Unternehmereigenschaft anhand dreier von ihr selbst definierter Kriterien, von denen sie die Erfüllung eines einzigen für die Unternehmereigenschaft als ausreichend ansah:

  •  Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Verkäufen
  • Überschreiten einer bestimmten Höhe von Verkaufsgebühren
  • Anmeldung auf einer Sonderplattform, die gewerblichen Händlern vorbehalten war

Streitfragen auf Ebene des Finanzamts und des Finanzgerichts

Im Rahmen einer Betriebsprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, ohne gültige USt-ID des Leistungsempfängers sei das Reverse-Charge-Verfahren nicht anwendbar. Die daraufhin von X nachgereichten USt-IDs hielten einer stichprobenartigen Überprüfung des Finanzamtes nicht stand. Das Finanzamt setzte in Bezug auf alle Leistungsempfänger ohne USt-ID zusätzliche Umsatzsteuer fest.

Das Finanzgericht (FG) erkannte, dass die gültige USt-ID des Leistungsempfängers keine Voraussetzung für das Reverse-Charge-Verfahren sei. Die von X entwickelten Kriterien für die Unternehmereigenschaft seien nachvollziehbar. Allerdings seien die Leistungsempfänger ohne USt-ID für das FG nicht identifizierbar; das FG sei nicht überzeugt davon, dass X die Identität der Nutzer überprüft habe. X trage die Feststellungslast hinsichtlich der Unternehmereigenschaft, da die Umkehr der Steuerschuldnerschaft eine die X begünstigende Ausnahmeregelung sei. Soweit gültige USt-IDs nachgereicht worden seien, schulde X jedoch keine Umsatzsteuer. Da das Finanzgericht die Daten insoweit nicht auswerten könne, stehe ihm das Recht zu, den Anteil der Nichtunternehmer zu schätzen – das Finanzgericht entschied sich für eine Quote von 50 %.

Entscheidung des BFH

Für den Übergang der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 UStG kommt es auf die Verwendung einer gültigen USt-ID durch den Leistungsempfänger nicht an, denn weder diese Vorschrift noch der korrespondierende Art. 196 MwStSystRL verlangen dies. Verlangt wird dort lediglich, dass der Leistungsempfänger Unternehmer ist. Dies ergibt sich auch im Umkehrschluss daraus, dass für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens auf nichtunternehmerische juristische Personen die USt-ID ausdrücklich gefordert wird.

Voraussetzung für die Umkehr der Steuerschuld ist zwar in der Tat, dass der Leistungsempfänger hinreichend identifizierbar ist. Das Finanzgericht hat aber gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen und zu Unrecht die Quote der Unternehmer unter den Leistungsempfängern geschätzt. Das Finanzgericht hätte die Daten zumindest stichprobenartig prüfen und ggf. weitere Angaben nachfordern müssen. Allein die Masse der Daten entbindet das Finanzgericht nicht von dieser Pflicht. Es gibt keine Vorschrift, die dem Leistenden einen bestimmten Nachweis auferlegt. Zwar wirkt die Umkehr der Steuerschuldnerschaft zugunsten des Leistenden, sodass diesen die Feststellungslast trifft. Diese kommt aber erst dann zum Tragen, wenn sich der Sachverhalt nicht aufklären lässt. Der Leistende sei auch nicht selbst verpflichtet, die aufgezeichneten Angaben und Unterlagen zu den Leistungsempfängern dahin gehend zu überprüfen, ob sich die Unternehmereigenschaft aus ihnen objektiv oder schlüssig ergibt. Allerdings unterliegen die Angaben der Überprüfung durch das Finanzamt.

Im Ergebnis muss das Finanzgericht diese Sachaufklärung nachholen und dann erneut entscheiden.

Einordnung

Der Nachweis der Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers ist ein Dauerproblem. Die Praxis zeigt, dass die Finanzämter, wie im vorliegenden Fall, häufig auf die USt-ID fixiert sind, obwohl das Gesetz sie nicht verlangt. Das ist verständlich, ist sie doch der einfachste Nachweis (auch wenn es vorkommt, dass die Finanzverwaltung eine USt-ID ohne genaue Prüfung erteilt, ob der Antragsteller tatsächlich eine unternehmerische Tätigkeit ausübt). Daher sollte für Leistende die USt-ID des Empfängers immer das Mittel der ersten Wahl sein, um die Unternehmereigenschaft nachzuweisen. Die engmaschige Überprüfung der Gültigkeit ist dabei ganz entscheidend.

Dass der Leistungsempfänger auch ohne USt-ID Unternehmer sein kann, sollte aber immer bedacht werden. Wenn die fehlende Unternehmereigenschaft dazu führen würde, dass der Leistende Umsatzsteuer schuldet, ist es zwar für den Leistenden der sicherste Weg, im Zweifel davon auszugehen, dass der Empfänger kein Unternehmer ist. Es gibt aber natürlich auch Konstellationen, in denen diese Art der Risikoverlagerung auf den Empfänger keine Option ist – z. B. wenn es sich um ein verbundenes Unternehmen handelt. Dann muss eine genaue Prüfung der Unternehmereigenschaft erfolgen.

In einer Situation, in der der Leistende von der Unternehmereigenschaft ausgegangen ist und er dies gegenüber der Finanzverwaltung und/oder vor dem Finanzgericht verteidigen muss, kann das vorliegende Urteil eine gute Argumentationshilfe sein: Gerichte/Behörden dürfen es sich hier nicht zu einfach machen und vor allem auch den Anteil von Nichtunternehmern unter den Leistungsempfängern nur und erst dann schätzen, wenn sich dieser Anteil nicht aufklären lässt.

Autorin

Nadia Schulte