Mehrwertsteuerausschuss veröffentlicht Leitlinien zu Tankkarten

Nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „Vega International“ sah sich das BMF im November 2021 veranlasst, den Entwurf eines Schreibens in Umlauf zu bringen, das das bisher von der Branche praktizierte Kraftstoff-Reihengeschäft bereits ab Januar 2022 zum Ausnahmefall erklärte. Als bekannt wurde, dass sich der MwSt.-Ausschuss der EU-Kommission des Themas annehmen würde, zog das BMF das Schreiben zurück, um das Ergebnis abzuwarten. Seit dem 6. September liegen die entsprechenden Leitlinien des MwSt.-Ausschusses vor, die aus dem Working Paper 1067 vom 5. Juli 2023 hervorgegangen sind.

Inhalt der Leitlinien

Bereits das Working Paper 1046 vom 7. September 2022 hatte die Richtung gewiesen, in die die Reise gehen würde: Im typischen Buy/Sell-Geschäft, wie es derzeit bei vielen Tankkartenemittenten strukturiert ist, überträgt das Mineralölunternehmen die Verfügungsmacht am Kraftstoff nicht auf den Kartenemittenten, sondern auf den Tankkunden (so der EuGH in der Rechtssache Vega). Der Kartenemittent erbringt an den Tankkunden keine Kraftstofflieferung, sondern eine Finanzierungsleistung. Die Behandlung als Lieferung von Kraftstoff vom Mineralölunternehmen an den Kartenemittenten und vom Kartenemittenten an den Tankkunden ist aber möglich, wenn die Verträge so gestaltet sind, dass der Kartenemittent als Kommissionär angesehen werden kann, der den Kraftstoff im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung kauft/verkauft.

Die nun vorliegenden Leitlinien und das Working Paper 1067 begründen dies näher: Zwar erhalte der Kartenemittent auch als Kommissionär vom Mineralölunternehmen keine Verfügungsmacht an dem Kraftstoff, sondern lediglich das zivilrechtliche Eigentum; diesen Mangel zu überwinden sei aber gerade der Zweck der Kommissionsregelung nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL, die eine Lieferung trotz fehlender Verfügungsmacht fingiert. Das Ergebnis dieser Fiktion ist das gewünschte Kraftstoff-Reihengeschäft.

Die Voraussetzungen, unter denen ein solches Kommissionsgeschäft angenommen werden kann, definieren die Leitlinien nun im Detail:

  1. Das Mineralölunternehmen muss dem Kartenemittenten das zivilrechtliche Eigentum übertragen. Dazu ist es erforderlich, dass das Mineralölunternehmen das Risiko des Zahlungsausfalls des Kartenemittenten trägt und der Kartenemittent das des Tankkunden. Wenn dem Tankkunden durch den Kraftstoff ein Schaden entsteht (z. B. am Motor), muss ihm ein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen den Kartenemittenten zustehen, nicht gegen das Mineralölunternehmen. Außerdem muss der Preis auf beiden Ebenen des Reihengeschäfts unabhängig festgelegt werden. Indem er jede individuelle Lieferung bestätigt, soll der Kartenemittent über die Bedingungen jedes Kaufs entscheiden, einschließlich Qualität, Menge, Ort und Zeit der Lieferung, und er bestätigt damit auch, dass der Tankkunde unmittelbaren Zugriff auf den Kraftstoff bekommen darf.
  2. Die Lieferung des Mineralölunternehmens an den Kartenemittenten und die des Kartenemittenten an den Tankkunden müssen gleich sein. Damit ist gemeint, dass der Kraftstoff nicht verändert wird. Dass bei der letztgenannten Lieferung dem jeweiligen Abnehmer Verfügungsmacht verschafft wird, bei der erstgenannten jedoch nicht, steht der „Gleichheit“ der Lieferungen ausweislich des Working Paper 1067 nicht entgegen.
  3. Zwischen dem Kartenemittenten als Kommissionär und dem Tankkunden/dem Mineralölunternehmen als Kommittent muss eine Vereinbarung bestehen, aus der sich ergibt, dass der Kartenemittent für Rechnung des Tankkunden kauft bzw. für Rechnung des Mineralölunternehmens verkauft und dass Gegenstand des Vertrags die Lieferung von Kraftstoff ist, nicht jedoch die Gewährung eines Kredits oder die Verwaltung von Kraftstofflieferungen. Der Kartenemittent muss für seine Dienstleistung als Kommissionär vom Tankkunden (bzw. je nach Ausgestaltung des Kommissionsgeschäfts vom Mineralölunternehmen) ein Entgelt erhalten.

Der Vertrag muss der wirtschaftlichen Realität entsprechen und der Tankkunde muss die Existenz dieses Vertrags an der Tankstelle nachweisen (z. B. mit der Tankkarte).

Nach den Leitlinien sollen diese Regelungen bisherige nationale Regelungen zu Tankkartenumsätzen nicht berühren, d. h. keine Rückwirkung entfalten.

Einordnung

Das Konzept der Einkaufskommission mutet auf den ersten Blick etwas fremd an, da die Situation im Tankkartengeschäft nicht typisch dafür ist. Üblicherweise ist es bei einem Kommissionsgeschäft der Kommissionär, der dem Verkäufer gegenübertritt, der Kommittent bleibt im Hintergrund. Hier hingegen wird das Kommissionsmodell mit einer Stellvertretung kombiniert, sodass der Kommittent (der Tankkunde) den Kommissionär (den Kartenemittenten) an der Tankstelle vertritt. Im Grunde vertritt der Tankkunde hier den Kartenemittenten bei der Besorgung seines eigenen (des Tankkunden) Geschäfts. Dennoch ist diese Lösung ein eleganter Kunstgriff, um zu einem Kraftstoff-Reihengeschäft zu gelangen, obwohl der Kartenemittent keine Verfügungsmacht am Kraftstoff erhält.

Erfreulich ist, dass der MwSt.-Ausschuss keine rückwirkende Anwendung der neuen Grundsätze auf Tankkartenumsätze für veranlasst hält. Das befürchtete Korrekturchaos wird somit ausbleiben. Tankkartenemittenten, die ihre Umsätze auch in Zukunft als Kraftstoff-Reihengeschäfte behandeln wollen, sollten sich aber so schnell wie möglich mit der Anpassung ihrer Verträge befassen.

Dass die Kartenemittenten dem Tankkunden für Schäden haften müssen, die durch den Kraftstoff entstehen, ist eine zusätzliche Belastung – die die Betroffenen aber angesichts der Seltenheit dieses Falles zu tragen bereit sein könnten.

Der Entwurf des BMF sah vor, dass der Tankkartenemittent über Qualität, Menge, Ort und Zeitpunkt der Lieferung frei entscheiden können muss und dass es dafür nicht ausreicht, wenn eine etwaige Autorisierung durch den Tankkartenemittenten automatisiert nur auf die Einhaltung bestehender Rahmenbedingungen/Restriktionen beschränkt ist (z. B. Prüfung des Verfügungslimits der jeweiligen Karte). Dies wäre in der Praxis nicht umsetzbar gewesen. Auch die Leitlinien fordern eine individuelle Bestätigung innerhalb der vertraglichen Vereinbarung, sind aber weicher formuliert, sodass hier praxistaugliche Lösungen eher möglich erscheinen.

Irritierend erscheint auf den ersten Blick, dass der Preis auf beiden Ebenen des Reihengeschäfts individuell festgelegt werden muss. Typischerweise besteht im Tankkartengeschäft ein Automatismus, bei dem der Preis in beiden Verhältnissen derselbe ist. Da sonst das ganze Konzept stets an diesem Punkt scheitern würde, kann aber wohl davon ausgegangen werden, dass es zwar in beiden Verhältnissen eigene Preisvereinbarungen geben muss, hier aber eine Abhängigkeit bestehen kann.

Zu bedenken ist bei diesem Konzept der Einkaufskommission, dass jedenfalls nach deutschem Verständnis von § 3 Abs. 3 UStG bei einem Kommissionsgeschäft keine eigenständige Vermittlungsleistung vorliegt. Das Entgelt für die Dienstleistung des Kartenemittenten, das nach den Leitlinien des MwSt.-Ausschusses eine Voraussetzung für die Behandlung als Kommissionsgeschäft ist, darf demnach umsatzsteuerlich nicht als solches behandelt werden. Vielmehr erhöht es die Bemessungsgrundlage für die (fingierte) Kraftstofflieferung an den Tankkunden. Dies kann auch Einfluss auf den Leistungsort haben.

Der Mehrwertsteuerausschuss ist nach Art. 398 MwStSystRL ein rein beratendes Gremium, das die koordinierte Anwendung der Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie fördern soll. Dies geschieht durch Leitlinien, die allerdings nicht rechtsverbindlich sind. Für die deutsche Finanzverwaltung hat das BMF dies mit Schreiben vom 3. Januar 2014 klargestellt: Das BMF bezieht diese Leitlinien in die Bildung seiner Verwaltungsauffassung mit ein, ist daran aber nicht gebunden. Da das BMF das Schreiben zum Thema Tankkarten explizit mit der Begründung zurückgehalten hat, die Entscheidung des Mehrwertsteuerausschusses abzuwarten, ist aber damit zu rechnen, dass es nun ein BMF-Schreiben entsprechend den Grundsätzen der Leitlinien erstellen wird. Der Entwurf vom November 2021 enthielt das Konzept des Kommissionsgeschäfts nicht, sodass die Änderungen erheblich sein dürften. Bei manchen Punkten ist noch nicht ganz absehbar, wie das BMF sie umsetzen wird, z. B. in Bezug auf die Bestätigung jeder individuellen Lieferung oder die Festlegung des Preises auf jeder Ebene.

Aus den Leitlinien geht hervor, dass sich fast alle Beteiligten einig waren. Voraussichtlich werden sich daher die meisten Mitgliedstaaten diesem Konzept anschließen.

Stand: 19.10.2023

Autorin

Nadia Schulte
Tel.: +49 211 83 99 330