Ausbau von Gemeindestraßen - BFH-Urteil "Mitteldeutsche Hartsteinindustrie" (XI R 26/20)

In seinem Urteil vom 16. Dezember 2020 (XI R 26/20) in der Rechtssache „Mitteldeutsche Hartstein-Industrie“entschied der BFH: Eingangsleistungen für den unentgeltlichen Ausbau einer öffentlichen Gemeindestraße durch einen Unternehmer berechtigen zum Vorsteuerabzug, soweit sie für den Betrieb des Unternehmens erforderlich sind und der Vorteil für die Allgemeinheit allenfalls nebensächlich ist. Eine unentgeltliche Wertabgabe liegt nicht vor, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht. Damit ändert der BFH seine Rechtsprechung, nach der der Vorsteuerabzug bisher versagt wurde.

Ausbau einer Gemeindestraße durch Klägerin

Die Klägerin hatte von der Stadt die Genehmigung zum Betrieb eines Kalksteinbruchs erhalten – unter der Maßgabe, dass die Klägerin auf ihre Kosten eine Gemeindestraße so ausbaue, dass sie den entsprechenden Schwerlastverkehr aufnehmen konnte. Die Straße steht auch nach dem Ausbau der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Bisherige Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung: Kein Vorsteuerabzug

In solchen Fällen ließen der BFH und, ihm folgend, die Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 7. Juni 2012) keinen Vorsteuerabzug auf die Eingangsleistungen zu, da der Unternehmer bereits bei Leistungsbezug beabsichtige, die Erschließungs- oder Ausbaumaßnahme unentgeltlich der Gemeinde zu überlassen. Mangels Vorsteuerabzug sei keine unentgeltliche Wertabgabe zu besteuern.

EuGH und BFH: Mittelbarer Bezug für besteuerte Ausgangsleistungen reicht aus

Der BFH hatte den vorliegenden Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Den Grundsätzen des EuGH folgend, entschied der BFH: Da die Ausbauarbeiten nicht über das hinaus gingen, was erforderlich war, um der Klägerin den Betrieb des Kalksteinbruchs zu ermöglichen, und die Ausbaukosten zu den Kostenelementen der besteuerten Ausgangsumsätze gehörten, stehe der Klägerin der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen zu. Dem stehe nicht entgegen, dass auch die Allgemeinheit kostenlos auf der Straße fahren könne, denn die Ausbauarbeiten dienten nicht der Allgemeinheit (die auch vorher schon auf der Straße fahren konnte), sondern der Anpassung an die Bedürfnisse des Kalksteinbruchs. Zwar hingen hier die Eingangsleistungen nur mittelbar mit den besteuerten Ausgangsumsätzen der Klägerin zusammen; dass dies ausreiche, ergebe sich aber aus der Rechtsprechung des EuGH. Seine anderslautende bisherige Rechtsprechung gibt der BFH ausdrücklich auf.

Der Ausbau der Straße sei nicht die Gegenleistung für die Erteilung der Genehmigung zum Betrieb des Kalksteinbruchs, sodass der Ausbau keine steuerbare Werklieferung darstelle.

Es liege auch keine unentgeltliche Wertabgabe der Klägerin vor, da die Ausbauarbeiten den Bedürfnissen des durch den Kalksteinbruchs nötigen Schwerlastverkehrs dienten und der Vorteil der Allgemeinheit allenfalls nebensächlich sei. Somit komme es nicht zu einem unversteuerten Endverbrauch der Eingangsleistungen, was aber bei unionsrechtskonformer, reduzierter Auslegung Voraussetzung für eine unentgeltliche Wertabgabe sei.

Empfehlung: Erschließungsmaßnahmen genau auf Voraussetzungen für Vorsteuerabzug prüfen

Bislang gingen BFH und BMF davon aus, dass Eingangsleistungen für Erschließungsmaßnahmen der unentgeltlichen Überlassung dieser Maßnahmen an die Kommune dienen und deshalb nicht abzugsfähig seien. EuGH und BFH eröffnen hier neue Möglichkeiten für den Vorsteuerabzug, auf die sich Steuerpflichtige unmittelbar berufen können. Wir empfehlen, die Voraussetzungen genau zu prüfen: Der Vorteil der Maßnahme für die Allgemeinheit darf nach der neuen Rechtsprechung allenfalls nebensächlich sein. Hier stellt sich die Frage, ob Ausbauarbeiten und erstmalige Erschließungsmaßnahmen unterschiedlich zu behandeln sein könnten. Denn bei den hier angesprochenen Ausbauarbeiten konnte die Allgemeinheit immer schon auf der Straße fahren, und durch den Ausbau ergab sich insoweit keine wesentliche Verbesserung. Wird hingegen eine neue Straße gebaut, ergibt sich dadurch für die Allgemeinheit eine erstmalige Nutzungsmöglichkeit. Eine solche Sichtweise widerspräche aber der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache „Sveda“ (EuGH vom 22. Oktober 2015, C-126/14, nach der Vorsteuern aus der Errichtung eines Freizeitweges abziehbar waren, den die Öffentlichkeit kostenlos nutzen konnte).

Bitte beachten Sie auch: Der vorliegende Fall betrifft eine unentgeltliche Werklieferung. Bei unentgeltlichen Werkleistungen gelten abweichende Regeln – genauso, wie bei entgeltlichen Leistungen an die Kommune.

Stand: 02.06.2021