Auch variable Verwaltungsratsvergütungen sind nicht automatisch steuerbar: EuGH-Urteil „TP“ vom 21. Dezember 2023, C-288/22

Am 13. Juni 2019 hatte der EuGH in der Rechtssache „IO“ (C-420/18) entschieden, dass die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds nicht selbstständig und damit nicht umsatzsteuerbar ist, weil er kein unternehmerisches Risiko trägt. Das BMF hatte daraufhin seinen Anwendungserlass (UStAE) dahin gehend angepasst, dass Festvergütungen nicht steuerbar sind, variable Vergütungen aber schon. Nach dem aktuellen EuGH-Urteil „TP“ ist dies so pauschal nicht mehr haltbar.

Sachverhalt: Verwaltungsrat mit Tantieme

Streitgegenstand war die Tätigkeit von TP, eines Mitglieds des Verwaltungsrats einer luxemburgischen Aktiengesellschaft, der unabhängig davon auch als Rechtsanwalt arbeitete. Er erhielt für seine Tätigkeit zum einen Tantiemen aus dem von der Gesellschaft erzielten Gewinn und zum anderen einen Pauschalbetrag.

Nach luxemburgischem Recht kann einem Verwaltungsratsmitglied auch die Führung der laufenden Geschäfte übertragen werden, dies war aber bei TP nicht der Fall. Vielmehr nahm er u. a. Berichte von Führungskräften entgegen und erörterte strategische Vorschläge. Verwaltungsräte gehen keine persönlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ein, haften aber „nach allgemeinem Recht“ für die Ausführung ihres Auftrags.

Das vorlegende luxemburgische Gericht wollte wissen, ob TP mit seiner Tätigkeit eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe, die der Umsatzsteuer unterliege.

EuGH: keine selbstständige Tätigkeit ohne wirtschaftliches Risiko

Bevor sich der EuGH mit dem Erfordernis der Selbstständigkeit befasste, prüfte er zunächst ausführlich, ob es sich vorliegend um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelte. Der hierfür erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der von TP erbrachten Leistungen und der empfangenen Gegenleistung sei gegeben, auch wenn die Höhe nicht von der individuellen Leistung TPs abhänge. Das vorlegende Gericht habe aber zu prüfen, ob TP auch dann einen objektiv seiner Leistung angemessenen Betrag erhalte, wenn die Gesellschaft keinen oder nur einen geringen Gewinn erziele. Darüber hinaus müsse TP seine Tätigkeit nachhaltig ausüben, was impliziere, dass auch die Vergütung einen nachhaltigen Charakter aufweisen müsse. Bei einer sechsjährigen Amtszeit sei von einer nachhaltigen Tätigkeit auszugehen, auch wenn rechtlich eine jederzeitige sofortige Abberufung möglich sei. Die Nachhaltigkeit der Tantieme hänge aber davon ab, dass sie auch gezahlt werde, wenn die Gesellschaft keine Gewinne erzielt habe, sodass die Festsetzungsmodalitäten vorhersehbar seien.

In Bezug auf die Selbstständigkeit der Tätigkeit betonte der EuGH, dass seine Beurteilung unter der Prämisse erfolgte, dass TP im Verwaltungsrat keine ausschlaggebende Stimme hatte und auch keine Geschäftsführung übernommen hatte. Die konkrete Entscheidung in Bezug auf TP überließ der EuGH dem vorlegenden luxemburgischen Gericht und gab diesem dabei auf, dass die folgenden Kriterien für die Selbstständigkeit erfüllt sein müssen:

  • TP muss die Modalitäten der Ausübung seiner Arbeit frei regeln können.
  • Er darf in keinem hierarchischen Unterordnungsverhältnis stehen. Dass es TP freistand, dem Verwaltungsrat Vorschläge und Ratschläge zu unterbreiten, sei ein Indiz dafür, dass kein Unterordnungsverhältnis vorliege.
  • Er muss im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln, wobei insbesondere das nationale Gesellschaftsrecht zu berücksichtigen sei. Dass vorliegend die Verteilung der Verantwortlichkeiten mit denen in einem Arbeitsverhältnis vergleichbar sei, spreche gegen eine eigene Verantwortung. Die fehlende eigene Verantwortung spreche wiederum dafür, dass TP auch eher im Interesse und für Rechnung der Gesellschaft handle.
  • TP muss ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen. Dies scheint dem EuGH hier nicht der Fall zu sein, da nicht TP selbst, sondern nur die Gesellschaft eventuelle negative Folgen der Entscheidungen von TP tragen muss. Dies gelte insbesondere dann, wenn nach nationalem Recht keine persönliche Haftung bestehe, und zwar auch dann, wenn es um eine gewinnabhängige Tantieme gehe, weil die Partizipation am Gewinn der Gesellschaft nicht mit einem eigenen Gewinn- und Verlustrisiko gleichgesetzt werden könne. Wenn die Gesellschaft die Tantieme in Form eines Pauschalbetrags gewähre, der auch dann gezahlt werde, wenn die Gesellschaft einen Verlust erwirtschaftet habe, gelte dies erst recht.

Einordnung/Praktische Relevanz

Zwar kann ein Verwaltungsrat nach luxemburgischen Recht auch Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen, bei TP war dies jedoch nicht der Fall. Das Urteil dürfte damit auf einen deutschen Aufsichtsrat übertragbar sein, nicht jedoch auf ein Leitungsgremium.

Für den EuGH ist die Beurteilung der Steuerbarkeit wesentlich komplexer als die Lösung der deutschen Finanzverwaltung in Abschn. 2.2 Abs. 3a UStAE, die nur danach unterscheidet, ob eine variable oder eine feste Vergütung vorliegt: Variable Vergütungen sind umsatzsteuerbar, feste nicht. Nach dem EuGH-Urteil „TP“ dürfte dies so pauschal nicht mehr haltbar sein, da demnach auch eine variable Vergütung die Selbstständigkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht automatisch indiziert. Das Aufsichtsratsmitglied muss vielmehr auch das Verlustrisiko der Gesellschaft mittragen.

Darüber hinaus ist bei Aufsichtsratsmitgliedern aus Sicht des EuGH nicht nur die Selbstständigkeit ein Thema, sondern auch (vorgelagert) ob es sich überhaupt um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Entscheidendes Kriterium ist hier die Nachhaltigkeit der Tätigkeit und der Vergütung. Während sich dem Urteil zu Ersterem wenig Greifbares entnehmen lässt, sind die Anforderungen an die Vergütung klar: Sie muss auch dann bezahlt werden, wenn die Gesellschaft einen Verlust erwirtschaftet, und zwar in einer der Leistung angemessenen Höhe. Damit setzt sich der UStAE derzeit gar nicht auseinander und muss auch insoweit wohl angepasst werden.

In der Praxis werden durch diese Rechtsprechung mehr Aufsichtsräte aus der Steuerbarkeit herausfallen. Damit entfällt ihr Vorsteuerabzug für mit ihrer Tätigkeit verbundene Eingangsleistungen. Für Gesellschaften, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, ist dies hingegen günstig, weil sie von den Aufsichtsräten keine Rechnung mit Umsatzsteuer mehr erhalten.

Stand: 23.01.2024

Autorin

Nadia Schulte
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