BFH schließt sich FG Münster zur Anwendung des 90%-Einstiegstests bei Handelsunternehmen nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG an

BFH, Urteil vom 13. September 2023, Az. II R 49/21, veröffentlicht am 14. Dezember 2023
Bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist der 90 %-Einstiegstest einschränkend auszulegen. Der 2. Senat stellt in seinem Leitsatz klar, dass § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG dahin gehend auszulegen ist, dass bei Handelsunternehmen mit begünstigtem Vermögen bestehend aus Finanzmitteln, das nach seinem Hauptzweck einer Tätigkeit nach § 15 Abs. 1 Satz 1 EStG dient, im Rahmen des 90 %-Tests die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind (Schuldenverrechnung).

Hintergrund

In § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ist der sogenannte Einstiegstest geregelt. Dieser grenzt die Begünstigungsregelung des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG für Betriebsvermögen erneut ein. Danach kommt eine Verschonung des Vermögens nach §§ 13a ff., 28, 28a ErbStG nicht mehr in Betracht, wenn das Verwaltungsvermögen nach einer Bruttobetrachtung mindestens 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens ausmacht. Nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip entfällt eine Begünstigung für das Vermögen dann vollständig.

Sachverhalt

Durch Schenkung erwarb die Klägerin sämtliche Geschäftsanteile einer GmbH, die im Vertrieb von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie im Forschungsbereich tätig ist. Das Finanzamt setzte den Wert der Anteile an der GmbH mit 556 T€, den Wert der Finanzmittel (z. B. Bankguthaben, Forderungen, Kasse) mit 2,5 Mio. €, den gemeinen Wert des Verwaltungsvermögens mit 0 € und die Summe der gemeinen Werte der Schulden mit 3,1 Mio. € fest.

Die Schulden wurden (wortlautgetreu) im Rahmen des 90 %-Einstiegstest nicht mit den Finanzmitteln verrechnet, sodass die 90 % des Betriebsvermögens deutlich überschritten wurden. Das Finanzamt versagte somit die schenkungsteuerlichen Vergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG.

Entscheidung des BFH

Wie bereits vor dem FG Münster hat die Klägerin auch im Revisionsverfahren Erfolg.

Auch der 2. Senat des BFH kommt zu dem Schluss, dass für Handelsunternehmen, deren Hauptzweck einer Tätigkeit nach § 15 Abs. 1 Satz 1 EStG dient, die Anwendbarkeit des 90 %-Einstiegstests einschränkend auszulegen ist. In diesem Fall sind bei der Berechnung die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln abzuziehen. Dafür sprechen nicht nur systematische, sondern besonders auch verfassungsrechtliche Gründe. Auch unterlaufe eine solche Einschränkung gerade nicht den Sinn und Zweck der Norm, die den Missbrauch der Begünstigungen des § 13b ErbStG verhindern soll.

Im konkreten Fall waren unter Anwendung der Auffassung des Senats von der Summe der gemeinen Werte der Finanzmittel (2,5 Mio. €) insbesondere die festgestellten Schulden (3,1 Mio. €) abzuziehen. Somit lagen letztlich keine steuerschädlichen Finanzmittel vor. Da schon durch das Finanzamt ein Hauptzweck der Tätigkeit nach §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG festgestellt wurde, war diese Auffassung anzuwenden. Die Schenkungsteuer wurde auf 0 € reduziert.

Praxishinweise

Das nun veröffentlichte Urteil des BFH ist zu begrüßen und dürfte für bereits erfolgte wie auch für geplante Nachfolgen erleichternd wirken. (Ruhende) Einspruchs- oder Klageverfahren sollten wieder aufgegriffen und um die Argumentation des BFH ergänzt werden.

Wir weisen darauf hin, dass der 90 %-Einstiegstest vor einer konkreten Positionierung der Finanzverwaltung bei zukünftigen Schenkungen vorsichtshalber weiterhin zu berücksichtigen ist. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung reagieren wird und ob eine Veröffentlichung des Urteils im Bundessteuerblatt erfolgt.

Bedauerlicherweise wurden keine weiteren Ungereimtheiten der Schuldenverrechnung (wie beispielsweise der Umgang mit Schulden im Sonderbetriebsvermögen von Personengesellschaften) aufgelöst, sodass die Ermittlung des Verwaltungsvermögens vor Durchführung der Unternehmensnachfolge weiterhin detailliert zu prüfen ist.

Gern beraten wir Sie umfassend und individuell im Bereich der Nachfolgeplanung und -gestaltung, insbesondere auch im Hinblick auf die erb- und schenkungsteuerlichen Begünstigungen.

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