Bundeshaushalt 2024 – Auswirkungen des BVerfG-Urteils

I. Sachverhalt/Ausgangslage

  • Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Urteil vom 15. November 2023 den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt.
  • Direkt von der Nichtigerklärung ist eine im zweiten Nachtrag 2021 veranschlagte Zuführung in Höhe von 60 Mrd. € an den Klima- und Transformationsfonds (KTF) betroffen.
  • Das BVerfG hat weitreichende Aussagen zu den finanz-/haushaltsverfassungsrechtlichen Grundsätzen der Jährlichkeit und der Vorherigkeit getroffen, deren Tragweite (auch in Bezug auf die Länderhaushalte) noch nicht abschließend bewertet werden können. Vereinfacht gesagt wurde die bis dato geübte Haushaltspraxis, Kreditermächtigungen in Sondervermögen (Nebenhaushalten) für zukünftige Haushaltsjahr zu „speichern“, für unzulässig erklärt. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die Schuldenbremse in Bund und Ländern (beides in Art. 109 i. V. m. Art. 115 GG geregelt) eine Kreditaufnahme des Bundes nur bis zu 0,35 Prozent des BIP und für die Länder überhaupt nicht mehr erlaubt – mit Ausnahme der sog. Notlagenklausel (Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG).
  • Die Notlage (Beispiele: Pandemie oder Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine auf die deutsche Energieversorgung) muss nach dem Urteil jährlich festgestellt und der daraus jeweils jährlich entstehende Bedarf zur Bewältigung der Notlage abgeleitet und für den einzelnen Haushalt festgestellt werden. Unzulässig war es, wegen der Pandemie Kreditermächtigungen zu schöpfen, diese nicht zu verausgaben, sie anschließend für den KTF umzuwidmen und in künftigen Haushaltsjahren, beispielsweise 2023, in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich im letztgenannten Fall dann nicht um eine aufgrund der Notlage 2021 zulässige (im Jahr 2023 „nachgeholte“) Kreditaufnahme, sondern um eine im Jahr 2023 mangels Feststellung (und/oder Vorliegens) einer Notlage im Jahr 2023 unzulässige, weil gegen die Schuldenbremse verstoßende Kreditaufnahme.
  • Das Urteil betrifft unmittelbar die 60 Mrd. € Kreditermächtigung für den KTF. Der KTF hat zwar eigene Einnahmen aus dem Emissionshandel und der CO2-Bepreisung, aber nach dem Urteil insofern ein deutlich reduziertes Volumen. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds – Teil Energie – (WSF) mit einer Kreditermächtigung von ursprünglich 200 Mrd. € zur Abfederung der Auswirkungen der Energiekrise (u. a. Strompreis- und Gaspreisbremse) ist vom Urteil mittelbar und nach seiner Bedeutung für den Bundeshaushalt schwerpunktmäßig betroffen und soll zum Ende des Jahres 2023 beendet werden (Kabinettvorlage BMF zum Nachtrag 2023 vom 27. November 2023, Seite 3).
  • Der Bundesrechnungshof (BRH) hatte in der Anhörung des Haushaltsausschusses am 21. November 2023 festgestellt, dass der Bundeshaushalt 2023 – ohne Änderung – die zulässige (verfassungskonforme) Kreditaufnahme um 138 Mrd. € und 2024 um 48 Mrd. € rechtswidrig überschreiten würde (vgl. BRH, schriftliche Stellungnahme für den Ausschuss, Seite 5).
  • Mit dem Nachtragshaushaltsentwurf 2023 vom 27. November 2023 versucht die Bundesregierung nun, den verfassungswidrigen Zustand für 2023 zu heilen, indem für das Jahr 2023 erneut eine Notlage im Sinne der Schuldenbremse (Art. 115 Abs. 2 GG) festgestellt wird. Der Nachtragshaushalt soll am 13. Dezember 2023 vom Bundestag in zweiter/dritter Lesung verabschiedet und bis Ende Dezember 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet werden.
  • Das Gesetzgebungsverfahren zum Bundeshaushalt 2024 und das begleitende Haushaltsfinanzierungsgesetz wurden hingegen ausgesetzt, ein neuer Zeitplan ist hierfür noch nicht bekannt. Deshalb ist die Finanzierung von Projekten in den Jahren 2024 und Folgejahren im Bund offen und Gegenstand von Diskussionen.

II. Schlussfolgerungen und Angebot für unsere Mandant*innen (öffentliche Unternehmen etc.)

  • Die Auswirkungen des Urteils und ihre Behandlung in der Haushaltsaufstellung für 2024 (einschließlich der Verpflichtungsermächtigungen, die in Folgejahren fällig sind) sind derzeit noch unklar (wird fortlaufend aktualisiert). Der Bundesfinanzminister hat mit Schreiben vom 27. November 2023 an die Regierungsfraktionen weitreichende Änderungen für den geplanten Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027 angekündigt.
  • Das BMF hat mit Schreiben vom 20. November 2023 an alle Bundesressorts (II A 2 – II 1200/22/10040:004) eine haushaltswirtschaftliche Sperre mit sofortiger Wirkung angekündigt (§ 41 BHO). Diese erstreckt sich im laufenden Haushalt 2023 auf die vollständige Sperre aller ausgebrachten und „noch verfügbaren“ Verpflichtungsermächtigungen (VEs) in nahezu allen Einzelplänen (Epl. 04 bis 17 und 23 bis 60) des Haushaltsplans 2023. Eine Freigabe einzelner VEs 2023 bedarf damit der (nur noch ausnahmsweise möglichen) Einzelfallgenehmigung des BMF. Hiervon ist eine Reihe von öffentlichen und teilweise auch privaten Mandant*innen betroffen, die zurzeit gemäß dem beschlossenen Haushalt 2023 Vertragsverhandlungen auf der Basis von VEs im Bundeshaushalt 2023 oder von in Aussicht gestellten Ausgabetiteln oder VEs für den Bundeshaushalt 2024 geführt haben. Beides ist zumindest vorübergehend aufgrund der Sperre für 2023 bzw. der offenen Situation für den Bundeshaushalt 2024 (und Folgejahre) auf Eis gelegt.
  • Die haushaltswirtschaftliche Sperre des BMF dient nach unserer Einschätzung zunächst nur der Analyse und Bestandsaufnahme. Insofern ist diese kein „Todesurteil“ für in Verhandlungen befindliche Projekte, sondern ein „Stoppschild“, um die Finanzierung von Projekten in den nächsten Wochen zu bewerten und darüber neu zu entscheiden.
  • Die Koalition hat die Beratung des Bundeshaushalts 2024 ausgesetzt. Ein neuer Zeitplan liegt Stand 27. November 2023 noch nicht vor.
  • Juristisch sind verschiedene Auswege denkbar: Ob eine erneute Feststellung einer Notlage (z. B. wegen der fortdauernden Energiekrise durch den russischen Angriff auf die Ukraine) zur Rechtfertigung einer erhöhten Kreditaufnahme nicht nur für 2023, sondern auch noch für 2024 möglich wäre, ist unter den Expert*innen umstritten. Daneben kommen Ausgabenkürzungen, Umschichtungen und Einnahmeerhöhungen im Kernhaushalt in Betracht. Denkbar ist auch, die (von der Schuldenbremse nicht erfasste) Kreditaufnahmekapazität der öffentlichen Unternehmen  stärker als bisher zu nutzen.
  • Solange der Bundestag keine Entscheidung über die Maßnahmen zur Behebung der Auswirkungen des BVerfG-Urteils auf den Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027 getroffen hat, sind keine belastbaren Prognosen möglich, ob Einzelpositionen im Haushalt mit Bezug zu unseren Mandant*innen gestrichen, beibehalten oder zeitlich gestreckt werden. Allenfalls kann man in dieser Phase mit Wahrscheinlichkeiten operieren.
  • Für jede*n Mandant*in muss eine Einzelfallanalyse getroffen werden: Welche Mittel sind im Wirtschaftsplan des KTF und des Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energie (daneben ist auch die Aufbauhilfe 2021 für die Flutkatastrophe von dem Urteil mittelbar betroffen) veranschlagt? Welche Mittel sind 2023 von der Sperre erfasst? Welche Mittel stehen im Bundeshaushalt 2024 „auf der Kippe“? Anschließend kann mit den zuständigen Fachministerien  über einzelfallbezogene Lösungen oder „Zwischenlösungen“ gesprochen werden.
  • Vor voreiligen Schritten ist zu warnen. Formale Grenzen sind zwar zu beachten (InsO). Die Aufsichtsgremien der Bundesunternehmen, in denen regelmäßig die Bundesministerien und vielfach auch das BMF vertreten sind, sollten fortlaufend über die Finanzentwicklung unterrichtet werden (Entsprechendes gilt für die betroffenen Bundesländer auf Landesebene). Es ist allerdings momentan davon auszugehen, dass für die Mehrzahl der öffentlichen Unternehmen auf Haushaltsebene eine Lösung gefunden werden kann. Auf Projektebene wird voraussichtlich eine Priorisierung von Maßnahmen nötig werden. (Hier ist eine zeitliche Streckung/Verschiebung vorgesehener Maßnahmen auf spätere Haushaltsjahre möglich: dies kann unter Umständen zu Unsicherheiten für Projekte mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 führen.)
  • Wir bieten unseren Mandant*innen an, sie zu begleiten, damit sie in der aktuellen Haushaltskrise rechtssicher agieren können.