„Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“ – Update: Bundestag beschließt mit 11. GWB-Novelle eine weitere Verschärfung des Kartellrechts

Der Bundestag hat am 6. Juli 2023 in zweiter und dritter Lesung die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet. In Zukunft kann das Bundeskartellamt nach Sektorenuntersuchungen etwa Konzentrationstendenzen stoppen, Marktzugänge erleichtern oder in Extremfällen Unternehmen entflechten. Grundlage der Abstimmung war die Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses, welche gegenüber dem ersten Regierungsentwurf noch kleine Änderungen vorsieht.

Die Zielsetzung der 11. GWB-Novelle und insbesondere ihre mögliche Auswirkung auf Transaktionen im ambulanten medizinischen Bereich hatten wir bereits in der Ausgabe 04/2022 nach Bekanntwerden des erstens Referentenentwurfes kommentiert. Das Gesetz muss nun noch den Bundesrat passieren, der voraussichtlich am 29. September 2023 darüber beraten wird.

Änderungen

Als neues Eingriffsinstrument sieht die beschlossene Gesetzesänderung in § 32f GWB-E vor, dass das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung konkrete Maßnahmen zur Abstellung festgestellter erheblicher Wettbewerbsstörungen anordnen kann. Bisher endeten Sektorenuntersuchungen in einem Bericht des Bundeskartellamts.

Maßnahmen nach Sektorenuntersuchungen

Unabhängig von den Kriterien des § 35 GWB kann das Bundeskartellamt Unternehmen gemäß § 32f Absatz 2 GWB-E künftig verpflichten, alle Unternehmenskäufe auf bestimmten Märkten innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Zustellung der Verfügung anzumelden. Hierdurch soll präventiv einer zu starken Unternehmenskonzentration vorgebeugt werden. Die Pflicht gilt für Zusammenschlüsse, bei denen der Erwerber im letzten Geschäftsjahr 50 Mio. € Umsatzerlöse im Inland und das zu erwerbende Unternehmen mehr als 1 Mio. € Umsatzerlöse im Inland erzielt hat. Ziel ist es, auch auf regionalen Märkten Konzentrationstendenzen kontrollieren zu können. Neben der Herabsetzung der Umsatzerlösschwelle entfällt mit der bisherigen Regelung in § 39a GWB insbesondere die Voraussetzung, dass das verpflichtete Unternehmen bundesweit einen Mindestmarktanteil von mindestens 15 % hat. Stellt das Bundeskartellamt erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem Markt oder marktübergreifend fest, so kann es den betroffenen Unternehmen alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben, wenn die Anwendung der sonstigen Befugnisse des Bundeskartellamts voraussichtlich nicht ausreicht, um der festgestellten Störung des Wettbewerbs entgegenzuwirken (Absatz 3 Satz 6). Die zuletzt genannte nachrangige Anwendung der neuen Eingriffsbefugnisse waren im Referentenentwurf noch nicht enthalten. Zudem wurde der Begriff der Störung des Wettbewerbs in Absatz 5 weiter konkretisiert. Als Abhilfemaßnahmen kommen insbesondere in Betracht:

  1. die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen;
  2. Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen;
  3. Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen;
  4. Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung;
  5. das Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen;
  6. die buchhalterische oder organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen.

Als ultima ratio sieht Absatz 4 unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit missbrauchsunabhängig die Anordnung der Entflechtung vor. Anders als noch im Referentenentwurf ist eine solche Möglichkeit allerdings nunmehr nur auf marktbeherrschende Unternehmen und Unternehmen im Sinne des § 19a GWB anwendbar. Zudem darf sich die Entflechtung nicht auf Vermögensteile beziehen, die innerhalb der letzten 10 Jahre Gegenstand einer fusionskontrollrechtlichen Freigabeentscheidung waren. Gegenüber dem Referentenentwurf wurde in § 66 Absatz 1 Nummer 1 GWB-E zudem ergänzt, dass Rechtsbehelfe gegen Entflechtungsmaßnamen sowie gegen die Abhilfemaßnahmen nach § 32f Absatz 3 Satz 6 GWB E aufschiebende Wirkung haben und somit als Mittel zur kurzfristigen Marktgestaltung ausscheiden.

Vorteilsabschöpfung und Durchsetzung des DMA

Neben den genannten Eingriffsbefugnissen ist ein weiter Aspekt der beschlossenen Novelle die Verschärfung der Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB. Diese wurde durch das Kartellamt bislang aufgrund der bestehenden Voraussetzungen nicht genutzt. Künftig gilt der Grundsatz einer widerleglichen Vermutung dafür, dass der wirtschaftliche Vorteil aus einem Verstoß gegen die entsprechenden Vorschriften mindestens ein Prozent der Umsätze beträgt, die im Inland im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung erzielt wurden. Zuletzt soll die Novelle die effektive Durchsetzung des im Jahr 2022 in Kraft getretenen Europäischen Gesetzes über digitale Märkte (Digital Markets Act [DMA]) im deutschen Rechtsraum sicherstellen. Hierzu sollen dem Bundeskartellamt die entsprechenden Ermittlungsbefugnisse eingeräumt werden und außerdem die private Rechtsdurchsetzung in Bezug auf den DMA ermöglicht werden.

Ausblick

Der nun beschlossene Entwurf beinhaltet eine deutliche Verschärfung des Wettbewerbsrechts, wenngleich dieser im Vergleich zum Referentenentwurf an einigen Stellen abgeschwächt wurde. Durch die massive Herabsetzung der Umsatzschwellen ist eine weitreichendere wettbewerbsrechtliche Regulierung im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung möglich, die bislang aufgrund der Verkäuferstruktur und der Regionalität der Märkte häufig nicht stattfindet. Die Anhebung der Umsatzschwelle für das zu erwerbende Unternehmen auf 1 Mio. € in der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses dürfte jedenfalls im Bereich der MVZ-Transaktionen keine relevante Einschränkung darstellen. Es bleibt daher abzuwarten, wie die neuen Befugnisse des Bundeskartellamts in der Praxis gelebt werden und in welchen Sektoren entsprechende Untersuchungen eingeleitet werden.

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Autor

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 3-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.