Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz – ein erster Schritt gegen den Fachkräftemangel in Deutschland

Nahezu alle Betriebe müssen sich mit dem Thema der Gewinnung neuer Arbeitskräfte oder Auszubildender auseinandersetzen. In manchen Branchen ist die Lage bereits derart prekär, dass Aufträge nicht mehr abgewickelt und Öffnungszeiten reduziert werden müssen. Mancherorts werden Betriebe gänzlich eingestellt. Dabei erfasst der Bedarf die Spanne von den ungelernten Hilfsarbeitern bis zum hoch qualifizierten Facharbeiter.

Eine Entspannung des Marktes ist nicht zu erwarten – vielmehr wird der Bedarf weiter wachsen, nachdem die geburtenreichen Jahrgänge der 1946er- bis 1964er-Jahre, die sogenannten „Babyboomer-Jahrgänge“, in den kommenden Jahren sukzessive aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden werden.

Das Problem ist daher bekannt. Die „Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ soll diesem Problem entgegenwirken. Es wird ab November 2023 schrittweise in Kraft treten und soll den Arbeitsmarkt durch Arbeitskräfte aus dem In- und Ausland stärken.

Aufgrund dieses Gesetzes sollen einerseits die eigenen Kapazitäten Deutschlands durch die Förderung der Aus- und Weiterbildung und die Verbesserung von Bildungschancen gestärkt werden. Zudem soll die Erwerbsbeteiligung von Fachkräften erhöht werden.

Der zweite Teil des Gesetzes setzt sich mit der Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland auseinander. Nachfolgend möchten wir den Blick auf die Änderungen richten, die mit der Zuwanderung aus dem Ausland verbunden sein werden.

Grundsatz: Aufenthaltstitel

Grundsätzlich benötigen alle Nichtdeutschen für die Einreise nach und den Aufenthalt in Deutschland einen der sieben verschiedenen möglichen Aufenthaltstitel (z. B. Aufenthaltserlaubnis, Blaue Karte EU, ICT-Karte, Niederlassungserlaubnis, Visum). Soll eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden, ist diese von einer gesonderten Erlaubnis abhängig.

Dieser Grundsatz gilt nicht bei EU-Bürgern im weitesten Sinne. Diese genießen Freizügigkeit und haben damit (schon heute) das Recht, ihren Aufenthaltsort innerhalb der EU frei zu wählen und dort auch einer Tätigkeit nachzugehen. Neben Angehörigen der Staaten der Europäischen Union sind Ausländer freizügigkeitsberechtigt, wenn sie aus Norwegen, Island, Liechtenstein oder der Schweiz stammen.

Die drei Säulen der Fachkräftezuwanderung

An die Erteilung eines Aufenthaltstitels für Ausländer aus sogenannten Drittstaaten, also Staaten außerhalb der EU, mit denen Deutschland kein gesondertes Abkommen geschlossen hat, wurden bisher hohe Anforderungen gestellt – nicht zuletzt durch komplizierte und aufwendige Verwaltungsverfahren.

Das soll sich ändern, Deutschland möchte sich künftig als modernes Einwanderungsland präsentieren. Hierzu wurde das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus 2020 durch die „Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ novelliert.

Das Zuwanderungsrecht baut nun auf drei Säulen auf: der Fachkräftesäule, der Erfahrungssäule und der Potenzialsäule. Damit sollen künftig nicht nur Akademiker angesprochen werden; auch Menschen mit qualifizierter Berufsausbildung oder einem Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt sollen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten.

1. Die Fachkräftesäule

Fachkräfte sind sowohl Hochschulabsolventen als auch (und das ist neu) Beschäftigte mit einer qualifizierten Berufsausbildung. Diese Gruppe soll auch weiterhin vornehmlich von der EU Blue Card erfasst werden.

Die „EU Blue Card“ ist ein Aufenthaltstitel für Menschen aus Drittstaaten mit einem Hochschulabschluss, der entweder in Deutschland erworben oder in Deutschland anerkannt ist. Neben dem Hochschulabschluss ist eine Arbeitsplatzzusage oder ein Arbeitsvertrag erforderlich und der Anspruch auf eine bestimmte Mindestvergütung. Diese Mindestvergütung wurde reduziert: Bisher betrug die jährliche Mindestvergütung bei sogenannten Engpassberufen 45.552 € bzw. bei anderen Berufen 58.400 €. Dies wird reduziert auf nunmehr 39.682,80 € bei Engpassberufen (das entspricht 45,3 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung (BBG RV)) bzw. 43.800 € für alle anderen Berufe (dies entspricht 50 % der BBG RV).

In der IT-Branche kann eine EU Blue Card sogar ohne Abschluss erworben werden, wenn eine mindestens dreijährige Berufserfahrung nachgewiesen werden kann.

Nicht nur Akademikern steht der Weg auf den deutschen Arbeitsmarkt frei, auch Fachkräfte mit einer qualifizierten, mindestens dreijährigen Berufsausbildung haben ab November 2023 einen Anspruch auf eine EU Blue Card.

2. Die Erfahrungssäule

Einen erheblichen Anwendungsbereich dürfte diese Kategorie erfahren: Ausländer aus Drittstaaten, die einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss mit einer Ausbildungszeit von mindestens zwei Jahren vorweisen können und zusätzlich über eine Berufserfahrung von zwei Jahren verfügen, können in nicht reglementierten Berufen einen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis erhalten. Die Besonderheit hierbei ist, dass die Anerkennung im Ausland ausreichend ist und in Deutschland keinem gesonderten Anerkennungsverfahren unterzogen werden muss. Weitere Voraussetzung ist der Abschluss eines Arbeitsvertrages bzw. das Vorliegen eines konkreten Jobangebotes, das zur Vermeidung von Lohndumping eine Gehaltsschwelle von 43.800 € brutto jährlich einzuhalten hat, wenn der Arbeitsvertrag nicht der Tarifbindung unterliegt.

3. Die Potenzialsäule

Neue Wege werden im Rahmen der Chancenkarte gegangen.

Demnach können potenzielle Arbeitnehmer aus Drittstaaten zu Zwecken der Arbeitssuche nach Deutschland einreisen. Sie haben dann ein Jahr Zeit, den Abschluss eines Arbeitsvertrages vorzuweisen. Gelingt dies nicht, kann die Karte um zwei weitere Jahre verlängert werden. Interessant ist dieser Weg insbesondere deshalb, da in der Zeit der Arbeitsplatzsuche eine Beschäftigung mit maximal zwanzig Wochenarbeitsstunden erlaubt ist.

Eine Chancenkarte bekommt, wer eine bestimmte Anzahl an Punkten erreicht. Punkte können in den Bereichen Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und auch dem Potenzial der Lebens- oder Ehepartner des Ausländers gesammelt werden.

Angedacht ist, nach dem Vorbild von Kanada und Australien, die Bewertung der Kriterien mit einem sehr geringen Aufwand digital prüfen zu können. Hierzu soll ein Behörden-Tool generiert werden, das eine eigenständige Vorprüfung durch den*die Bewerber*in via Internet erlaubt, ob er*sie ausreichend Punkte für die Chancenkarte vorweisen kann.

Anerkennungsverfahren in Deutschland

Wer in keine der oben genannten Kategorien fällt, kann (allerdings erst ab 2024) unter erleichterten Bedingungen nach Deutschland einreisen. Im Wege einer Anerkennungspartnerschaft kann der Ausländer, der bereits einen Arbeitgeber gefunden hat, dessen Status allerdings unklar ist, nach Deutschland einreisen und dann das Anerkennungsverfahren in Deutschland durchlaufen.

Auch eine Anpassungsqualifizierung oder Ausgleichsmaßnahme kann angestrebt werden, unter dessen Schirm der Ausländer seinen Status als Fachkraft erwerben kann, z. B. weil für die erforderliche Anerkennung seines ausländischen Abschlusses einzelne Bausteine fehlen. Während dieser Zeit ist eine Tätigkeit von bis zu 20 Wochenarbeitsstunden erlaubt.

Zweifelsfrei sind die Änderungen im Zuwanderungsrecht sehr umfangreich. Der Versuch, ein niederschwelliges Angebot und Signal an ausländische Fachkräfte – und solche, die es werden wollen – zu senden, ist erkennbar. Ein wesentlicher Aspekt wird allerdings nicht ausreichend gewürdigt: Die Infrastruktur ist vielerorts in einem desolaten Zustand, weshalb dringend ein Konzept erarbeitet werden muss, wie der Wohnraum geschaffen, eine hochwertige Kinderbetreuung angeboten und insbesondere die soziale Integration erreicht werden kann, damit die neuen Fachkräfte in ihrem neuen Job, aber natürlich auch in unserer Gesellschaft ankommen können.

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Autorin

Derya Kaya
Tel: +49 711 666 31 768

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.