Vom Tank zur Datenbank: Die Transformation der Automobilindustrie

Beim Autokauf spielt die reine Fortbewegung, der Status und Komfort oftmals nur noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen entwickeln sich Nachhaltigkeit und Mobility as a Service (MaaS) immer mehr zur Priorität. Unternehmen im Auto- und Mobilitätssektor müssen, um weiter erfolgreich wachsen zu können, strategische Partnerschaften eingehen. Dazu gehört, dass Daten optimal genutzt und eingesetzt werden – nur so ist man Teil künftiger Innovationen zur Weiterentwicklung der Mobilität.

In nur drei Generationen haben sich die Verbrauchergewohnheiten im Automobilsektor erheblich verändert, so Grégory Derouet, Global Co-Head Automotive bei Mazars. „Meine Großmutter hat noch den Wechsel von Pferdekutschen zu Autos miterlebt. Für die Generation meiner Eltern war es selbstverständlich, dass jeder ein Auto besitzt. In der nächsten Generation werden die Menschen nicht mehr nur über Autos sprechen. Sie werden sich Gedanken über neue Kriterien, über die reine Mobilität hinaus, machen.“

In den nächsten zwei Jahrzehnten werden veränderte Bedürfnisse der Menschen, wie Ressourcensparsamkeit und Krisensicherheit, die Wirtschaft prägen. Diese sich wandelnden Verbrauchergewohnheiten stoßen neue, diese Zeit charakterisierende Technologien zur Datenanalyse und für mehr CO2-Neutralität an.

Derouet führt dazu weiter aus, dass in der Automobilindustrie erneut eine „Transformation von Arbeiten und Denken“ stattfindet. Die Branche wandle sich vom „schwerfüßigen Produktangebot“ des 20. Jahrhunderts, das von CO2-intensiver Massenproduktion des eigenen Automobils gekennzeichnet war, hin zu einem „leichtfüßigeren Produktangebot“ des 21. Jahrhunderts, die von kollektiven Mobilitätslösungen, personalisierten Systemen und nachhaltigen Technologien gekennzeichnet sein wird.

Was treibt die Transformation der Mobilität an?

  • Höhere Nachhaltigkeitsstandards. Das bedeutet eine verbesserte Energieeffizienz und die Reduktion von CO2-Emissionen. Staatliche Vorgaben werden die Verbraucher dazu motivieren, emissionsärmere Alternativen wie Fahrräder oder Carsharing-Systeme zu nutzen. Das wird das Mobilitätsverhalten nachhaltig verändern.
  • Wachsende Nachfrage nach Sharing- und integrierten Systemen. Beides sorgt für eine radikale Disruption der Mobilitätsmärkte. Die Integration und Vernetzung von Angeboten und Systemen durch Apps wie Whim in Helsinki – ein „One-Stop-Shop“-Service für alle öffentlichen Verkehrsmittel – sind Zukunftslösungen.
  • Zunehmende Personalisierung. Anbieter, die das individuelle und personalisierte Fahrvergnügen in den Mittelpunkt der technologischen Entwicklungen rücken, werden die Erfolgreichsten im Wettbewerb sein.

Erfolg im Zeitalter von Mobility as a Service

Die Automobilindustrie muss bei MaaS einen Gang zulegen. „Um mit Mobility as a Service-Angeboten erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen ihre Daten noch besser erfassen und analysieren. Dazu gehört es, bisher möglicherweise ungewöhnliche Partnerschaften einzugehen, um so die eigene Vorstellungskraft und Kreativität zu fördern“, sagt Guillaume Devaux, Global Head of Technology bei Mazars. Ein Beispiel könnte ein Auto sein, das durch den Einsatz einer Technologie zur Tonfallerkennung nützliche Daten über das Fahrerlebnis liefert, die aus subtilen Signalen in der Stimme des Fahrenden generiert werden.

Der Kampf um Daten

„Zwar sammelt die Automobilindustrie schon heute ausführliche Daten wie Parkzeiten, zurückgelegte Entfernungen und die Nutzung einzelner Fahrzeugkomponenten“, erklärt Derouet. „Der eigentliche Mehrwert dieser Daten ist jedoch, sie genau zu analysieren, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen und diese praktisch in die nächste Fahrzeuggeneration zu überführen.“ Die Fähigkeit, solche Erkenntnisse in konkrete Services zu übersetzen, wird der größte Vorteil im Mobilitätswettbewerb sein.

Diese strategische Neuausrichtung der Automobilunternehmen setzt einen weitreichenden internen Transformationsprozess voraus. Unter Umständen müssen neue Fähigkeiten erlernt sowie erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung getätigt werden. Unternehmen, die hier einen Gang zulegen, werden Vorreiter sein und die Mobilität nachhaltig mitgestalten.

Erfolgreich durch Partnerschaften

Künftig müssen Automobilhersteller Partnerschaften und Joint Ventures mit Carsharing-Unternehmen, Händlern, Flottenbetreibern und anderen Mobilitätsanbietern eingehen.

Speziell die Carsharing-Anbieter sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor, ebnen sie den Automobilkonzernen doch den Weg zu einer neuen Kundschaft. Devaux nennt beispielhaft die App Free2Move, mit der die Kund*innen verschiedenste Fahrzeuge mehrerer Carsharing-Services finden und vergleichen können. „Die App ist ein Gemeinschaftsprojekt der etablierten Markenhersteller Peugeot, Citroën und Opel. Im ersten Halbjahr 2020 generierte der Service ein zweistelliges Umsatzwachstum“, führt Devaux aus. „Solche Kooperationen sind nötig, wenn Autobauer vom Carsharing-Trend zukünftig profitieren und neue Geschäftsmodelle testen wollen.“ Im ersten Schritt sollten Automobilkonzerne diese Plattformen zumindest unterstützen, um bei der jungen, mobilen Zielgruppe sichtbar zu sein.

„Nichtsdestotrotz bleiben Partnerschaften mit Autohändlern besonders wichtig, um Marktanteile zu gewinnen. Denn die Händler bauen oft die Kundenbeziehung auf und pflegen sie“, sagt Devaux. Unverzichtbar bleiben die Händler auch aufgrund der Garantieleistungen und der After-Sales-Betreuung. Allerdings sind diese Serviceleistungen wegen der Corona-Pandemie aktuell dramatischen Veränderungen unterworfen. 

Nicht zu vernachlässigen sind auch Kooperationen mit Unternehmen anderer Branchen. Angebotene Firmenwagen beispielsweise werden immer öfter als betriebliche Sozialleistung verstanden und verdrängen so das Auto als individuelles Eigentum.

In der Zukunft werden also diejenigen Hersteller erfolgreich sein, die die Balance zwischen “Ware, Nutzen, Markenimage und dem von ihnen geschaffenen Mehrwert“ finden, erklärt Devaux. Der Wandel hin zu einem Mobility as a Service-Modell setzt Vorstellungskraft voraus, um zu erkennen was das Auto und die Mobilität der Zukunft ausmacht. Solche Gedankenexperimente bilden die Basis für die Fähigkeit, Daten- und Analysekompetenzen aufzubauen, Prozesse umzugestalten und erforderliche Veränderungen effektiv umzusetzen.

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