EuGH zum § 50d III EStG n.F.

26.06.2018 – Auch die Neufassung des § 50d III EStG ist unionsrechtswidrig.

In der Rs. C-440/17 erkannte der Gerichtshof die aktuelle Fassung des § 50d Abs. 3 EStG für unionsrechtswidrig. Damit setzt er seine Rechtsprechungslinie fort und kassiert die deutschen Missbrauchsbekämpfungsregelungen für die Inanspruchnahme von Quellensteuerermäßigungen. Für Unternehmen ist dieses Urteil von erheblicher Bedeutung.

Hintergrund

Ist bei beschränkt Steuerpflichtigen ein Steuerabzugstatbestand erfüllt, hat der Steuerabzug gemäß § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG ungeachtet etwaiger Entlastungsansprüche (insbesondere nach DBA oder nach §§ 43b bzw. 50g EStG) zu erfolgen. Das zur Geltendmachung dieser Ansprüche anzustrengende Erstattungs- (§ 50d Abs. 1 Satz 3 ff. EStG) oder Freistellungsverfahren (§ 50d Abs. 2 EStG) erfolgt unter dem Vorbehalt der Prüfung des § 50d Abs. 3 EStG.

Nach § 50d Abs. 3 EStG hat eine ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung,

  • soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und
  • die von der ausländischen Gesellschaft erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen sowie
  • für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
  • die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

Die Vorschrift erlegt dem Steuerpflichtigen umfangreiche Nachweispflichten auf, die in der Praxis auch bei vorliegender Substanz im Ausland zur (teilweisen) Versagung der Entlastung führen.

Entscheidung des EuGH

Auch die aktuell in Deutschland geltende Regelung des § 50d Abs. 3 EStG prüfte der EuGH sowohl anhand der einschlägigen Mutter-Tochter-Richtlinie (umgesetzt in § 43b EStG) als auch der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Streitbefangen war die Kapitalertragsteuerbelastung von Gewinnausschüttungen einer deutschen Kapitalgesellschaft, deren Anteile zu 90 % von einer in den Niederlanden ansässigen Kapitalgesellschaft gehalten wurden. Die Muttergesellschaft unterhielt in den Niederlanden ein Büro mit drei Angestellten und übte dadurch Holding-, Finanzierungs- und Handelstätigkeiten aus. Die Entlastung von der Kapitalertragsteuer scheiterte gleichwohl an § 50d Abs. 3 EStG.

Der EuGH bestätigt seine frühere Rechtsprechung nahezu wortgleich: Die Prüfung eines Sachverhaltes auf eine missbräuchliche Gestaltung hin darf sich nicht auf allgemeine Kriterien beschränken, sondern bedarf eines von der Finanzverwaltung vorzubringenden Anfangsbeweises. § 50d Abs. 3 EStG pauschaliere jedoch und bezwecke daher nicht speziell, rein künstliche Konstruktionen von der Inanspruchnahme eines Steuervorteils auszuschließen. Diese kurze, aber entschlossene Argumentation sei, so der Gerichtshof, in gleicher Weise auf die Niederlassungsfreiheit zu übertragen. Daher verstoße § 50d Abs. 3 EStG nicht nur gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie, sondern auch gegen die Grundfreiheiten.

Das vorliegende Urteil zeigt das Missbrauchsverständnis des Gerichtshofs. Es liege kein Missbrauch vor, nur weil eine in einem Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft in diesem Staat keine Tätigkeit entfaltet, sondern ausschließlich über Tochtergesellschaften in anderen Staaten ausübt (Rn. 51 f.).

Ferner schreibe die Mutter-Tochter-Richtlinie weder die Höhe der Einkünfte aus eigener Wirtschaftstätigkeit vor noch sei von einer in der Verwaltung von Wirtschaftsgütern bestehenden Wirtschaftstätigkeit auf das Vorliegen von Missbrauch zu schließen (Rn. 53 f.).

Reichweite der Entscheidung

Der Urteilsspruch ist für die grenzüberschreitende Besteuerung von erheblicher Bedeutung. Einerseits sind die Grundsätze des § 50d Abs. 3 EStG nicht mehr anwendbar, sondern es muss eine einzelfallabhängige Missbrauchsprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände erfolgen, ähnlich wie § 42 AO dies vorsieht. Andererseits wirkt er sich auch auf die anderen Missbrauchsvorschriften aus.

Die zur Mutter-Tochter-Richtlinie ergangene Entscheidung dürfte in gleicher Weise und ohne Einschränkungen auf die weiteren EU-Richtlinien zu übertragen sein. Dies ist zunächst relevant für Lizenzgebühren i. S. d. Zins- und Lizenzrichtlinie (§ 50g EStG), welche dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegen. Im Bereich der Grundfreiheiten dürfte die Entscheidung sowohl auf die Dienstleistungsfreiheit als auch auf die Kapitalverkehrsfreiheit übertragbar sein, weil nach Rechtsprechung des EuGH eine „Konvergenz“ der Grundfreiheiten besteht.

Im Bereich der nationalen Vorschriften zur Missbrauchsvermeidung können pauschale Vorschriften keine Geltung beanspruchen. Dies dürfte auch die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung betreffen, weil auch dort – ohne jeglichen Anfangsbeweis durch die Finanzbehörde – bereits allein aufgrund der Inländerbeherrschung, der Niedrigbesteuerung und des Erzielens von Einkünften aus passivem Erwerb ein Steuernachteil auferlegt wird. Vor dem Hintergrund der eindeutigen EuGH-Rechtsprechung scheint dies nicht mehr haltbar. Gleichfalls stellt sich die Frage, ob die in der Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (RL 2016/1164), sog. ATAD I, vorgesehene europäische Hinzurechnungsbesteuerung nicht selbst einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten darstellt.

Praxishinweise

Verdichtet man die ertragsteuerlichen Entscheidungen des EuGH in den letzten Monaten zu einer Rechtsprechungslinie, dann lässt sich hieraus eine Tendenz zu einer stärkeren Betonung der grundverkehrsfreiheitlichen Komponente des Binnenmarktes feststellen, mit anderen Worten: Die Rechtsprechung drängt die Fisci zurück und gewährt den Steuerpflichtigen umfangreichen unionsrechtlichen Schutz. So hielt der EuGH zunächst die Verrechnungspreiskorrektur nach § 1 AStG für teilweise unionsrechtswidrig, ließ die inländische Abzugsfähigkeit freigestellter ausländischer Betriebsstättenverluste bei Finalität wiederaufleben und hat schließlich im Rahmen mehrerer Entscheidungen nationale Missbrauchsvorschriften mit einer beachtlichen Entschlossenheit zurückgewiesen. So hat sich der Gerichtshof auch in der Entscheidung vom 14. Juni 2018 gar nicht erst auf eine Rechtfertigungsprüfung eingelassen, sondern bereits im Ausgangspunkt die Möglichkeit einer Rechtfertigung des § 50d Abs. 3 EStG auf Basis der Missbrauchsvermeidung ausgeschlossen.

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage ist es auch allgemein geboten, auch das Unionsrecht als Argumentationsbasis in Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung einzubeziehen. Es darf von einer auch weiterhin wachsenden Bedeutung dieser Rechtsmaterie für die Rechtsanwender ausgegangen werden. Im Bereich von Missbrauchsvermeidungsvorschriften (§ 50d Abs. 3 EStG oder Hinzurechnungsbesteuerung §§ 7 ff. AStG) und ähnlichen Abwehrnormen (z. B. der Verrechnungspreiskorrektur) im deutschen Steuerrecht ist der Anfangsverdacht der Steuerumgehung von der Finanzbehörde darzulegen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden EuGH-Entscheidung sind nicht nur gesetzgeberische Anpassungen, sondern kurzfristig wahrscheinlich auch abermalige Verwaltungsanweisungen zu erwarten.

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