22.01.2018 – Der 29. März 2019 wird nach aktueller Lage der Tag des offiziellen Austritts Großbritanniens aus der EU sein. Vielfach wird dieser Tage diskutiert, welche Auswirkungen dieser sog. „Brexit“ auf die verschiedenen Lebensbereiche einschließlich der Wirtschaft hat oder haben könnte.
Brexit und Schifffahrt

Die inzwischen in ihre zweite Phase getretenen Verhandlungen zwischen der EU und der britischen Regierung machen allerdings deutlich, dass bislang keine wirklich tragfähige Neukonzeption für die Beziehungen Großbritanniens zur EU vorliegt.

Eine direkte Auswirkung des Brexits auf die Schifffahrtsbranche im Allgemeinen erscheint aktuell eher unwahrscheinlich, selbst für den Fall, dass Großbritannien den „harten Ausstieg“ – also ohne ein Verhandlungsergebnis – aus der EU wählt. Die Loslösung Großbritanniens aus dem Staatenbund EU wird nicht zu derartigen Verwerfungen führen, dass die Schifffahrtsbranche massive Beeinträchtigungen durch direkt wirkende technische, rechtliche, soziale oder wirtschaftliche Faktoren zu erleiden haben wird. Seitens einiger europäischer Industrie- und Handelskammern werden jedoch Befürchtungen in Bezug auf den Handelsverkehr auf dem Ärmelkanal laut. So heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der britischen Handelskammern, der Chambers Ireland, der dänischen Handelskammer, der französische Industrie- und Handelskammer, der deutschen Industrie- und Handelskammer, der niederländisch-britischen Handelskammer und der belgischen Handelskammer vom 11. Dezember 2017:

„Countries from the northern European coastal area have always maintained exceptionally good trade ties. Trade between the United Kingdom and the other 6 European Union countries in this area amounted to 344bn EUR in 2016, accounting for 70% of the total EU-UK trade. The English Channel, located in the middle of the North Sea area, is for example the world’s busiest shipping lane, with more than 500 vessels passing through the strait on a daily basis, as well as being a key transport link between the EU and Ireland. A sudden and chaotic disruption of trade in this region would have a substantial economic impact that should not be underestimated.“ 1

Mit Felixstowe ist der größte britische Containerhafen (Umschlagskapazität 3 Mio TEU; zum Vergleich: Rotterdam Umschlag 12,4 Mio TEU in 2016, Hamburg Umschlag 8,9 Mio TEU in 2016) Anrainer dieser Schifffahrtsstraße. Größere Auswirkungen wären aber eher auf die Abfertigungskapazitäten und Abwicklungsmodalitäten an den Fährhäfen, etwa Dover, zu erwarten. Als Hafenstandort spielt Großbritannien nichtsdestoweniger international nur eine untergeordnete Rolle.

Die britischen Häfen dürften ihre Bedeutung vor allem aus ihrer Rolle als Umschlagplatz für den britischen Im- und Export schöpfen, weniger als Drehkreuz des globalen Handels wie etwa die großen Häfen in Kontinentaleuropa und Asien. Allgemeine wirtschaftliche Nachteile, die Großbritannien etwa durch neue Zollgrenzen entstehen könnten und in ein sinkendes Import/Export-Volumen mit bisherigen Haupthandelspartnern aus der EU münden könnten, würden sich wohl auf die Auslastung der britischen Häfen auswirken. Von maßgeblicher Bedeutung wird sein, ob Großbritannien in Zukunft den Status eines Drittlandes einnimmt oder Lösungen analog zu Norwegen oder der Schweiz gefunden werden.

Brexit und Schifffahrt - Auswahl der wichtigsten Häfen in Großbritannien

Inwieweit der Einsatz von Schiffen unter britischer Flagge Nachteile aus dem Brexit erleidet, ist im Einzelfall zu untersuchen, da bereits heute vielfach britische Flaggen bestimmter Territorien verwendet werden (Isle of Man – bereits heute politisch nicht Teil der EU; Gibraltar dagegen politisch Teil der EU), um bestimmte abweichende rechtliche und/oder wirtschaftliche Sachverhalte bzw. Wirkungen zu erzielen oder zu nutzen.

Der direkte Einfluss des Brexits auf die Rolle und internationale Bedeutung von in Großbritannien ansässigen schifffahrtsspezifischen Institutionen (Makler, Agenturen, Versicherungen) erscheint aus heutiger Sicht nicht einschätzbar. Dienstleistungen, soweit sie gegenüber Geschäftspartnern mit Sitz in der EU erbracht werden, könnten möglicherweise nicht mehr erbracht werden, da quasi über Nacht ggf. bestimmte EU-rechtliche Bedingungen oder Zulassungen nicht mehr erfüllt werden könnten.

Bedeutsamer dürften indes indirekte Folgen des Brexits sein, da sich Konsequenzen auf den Kapitalmärkten aus der veränderten Position Londons als Standort außerhalb der EU ergeben dürften, die die Schifffahrt sehr wohl beeinflussen, namentlich Devisenkurse, das Zinsniveau und der Ölpreis. Deren Auswirkungen auf Beschaffungs- und Absatzmärkte beeinflussen das Welthandelsvolumen und mit ihm die Frachtraten und damit Angebot und Nachfrage nach Schiffstransportleistungen. Als bedeutsam könnte sich erweisen, wie sich das Ausscheiden Großbritanniens auf die politische und wirtschaftliche Lage der Rest-EU auswirkt. Sofern dies der Beginn eines Zerfallsprozesses wäre, verbunden mit einem Wiederaufleben von umfangreichem, zusätzliche Kosten produzierendem staatlichem Protektionismus, müsste mit massiven wirtschaftlichen Konsequenzen zum Nachteil des Welthandels gerechnet werden. Denkbar wäre im Gegenzug, dass die Rest-EU den Ausstieg Großbritanniens als Startpunkt begreift, die EU-Wirtschafts- und Handelspolitik tatsächlich zu harmonisieren und auf diese Weise Ineffizienzen abzubauen.

Fazit: Auch in Zukunft wird es einen internationalen Warenaustausch und globale Schifffahrt geben. Die Zukunft der Schifffahrtsbranche wird durch den Brexit nicht in Frage gestellt. Eine durchaus nachhaltige Beeinflussung ist allerdings zu erwarten. Offen bleibt, ob am Ende möglicherweise neu entstandene Chancen durch neue oder verstärkte bestehende Risiken überkompensiert werden.

1 Press Release – Monday, 11 December 2017, 10.30 a.m.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Shipping-Newsletter 1-2018. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.