„Entscheidungen sind nach wie vor männlich geprägt“

Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern wie Frankreich oder Schweden sind in Deutschland weniger Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten vertreten. Die Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ (FidAR e. V.) hat das Thema erfolgreich in die Öffentlichkeit gebracht und einen Wandel angestoßen. Präsidentin Professor Dr. Anja Seng erläutert Ziele und Arbeit der Initiative.

Frau Seng, welches Ziel verfolgen Sie als Präsidentin der Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“?

Unser übergreifendes Ziel sind die Stärkung der gleichberechtigten Teilhabe in der Wirtschaft und mehr Frauen in Aufsichtsräten. Wir sind ein gemeinnütziger Verein für Frauen und Männer, der 2006 gegründet wurde, der überparteilich sowie unabhängig aufgestellt und im gesamten Bundesgebiet tätig ist. FidAR hat über 1.250 Mitglieder, wovon leider nur ca. fünf Prozent Männer sind – da wünschen wir uns mehr. Denn eine höhere Repräsentation von Frauen in Führungspositionen kann nur gemeinsam gelingen. Wir wollen die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und das Bewusstsein dafür schärfen. Mehr Vielfalt in Führungsgremien bedeutet auch größeren wirtschaftlichen Erfolg.

Anja Seng

Wie ist es denn um die Gleichstellung von Frauen in wichtigen Positionen bestellt?

Etwas mehr als die Hälfte der Menschen sind Frauen. Auch etwa die Hälfte der Menschen mit Hochschulabschluss sind Frauen. Dennoch sind Frauen in Unternehmen und auch vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Aktuell besetzen Frauen ca. 35 Prozent der Aufsichtsratspositionen – allerdings nur in jenen Unternehmen, die der Geschlechterquote unterliegen. Bei den anderen sind es vielfach deutlich weniger. Bei der aktuellen Debatte um die Wahlrechtsform, die der Bundestag Mitte März verabschiedet hat, spielte das Thema Parität der Geschlechter keine Rolle – obwohl im Koalitionsvertrag „Parität 2030“ vereinbart ist. Es ist ein schlechtes Zeichen, dass die Politik hier nicht mit gutem Beispiel vorangeht. Der Anteil von Bürgermeisterinnen liegt unter zehn Prozent. Nur 34,9 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Frauen. Der Nachholbedarf ist also auf allen Ebenen groß.

Wie wirkt sich der hohe Anteil von Männern in wichtigen Gremien aus?

Entscheidungen sind nach wie vor männlich geprägt. Das gilt nicht nur in Unternehmen, sondern auch in der Verwaltung. Ein Beispiel dafür ist die Planung von Verkehrswegen. Darin spiegeln sich die männliche Sichtweise und männliche Bedarfe wider. Das liegt auch an der unterschiedlichen Erfahrung von Frauen und Männern im Lebensalltag. Um zum Beispiel auch die Verkehrswende zu gestalten, braucht es aber die Perspektive aller Beteiligten. Nur so finden wir die besten Lösungen.  

Wie arbeitet Ihre Initiative ganz konkret?

Unser Ziel ist es, den Anteil von Frauen in Führungsgremien zu erhöhen. Uns geht es um die gleichberechtigte Teilhabe in Führungspositionen – also im Aufsichtsrat, Vorstand und den oberen Führungsebenen. Dafür schaffen wir Öffentlichkeit, erhöhen die Transparenz und gestalten Netzwerke. Wichtige Basis unserer Arbeit sind die verschiedenen Women-on-Board-Indizes. Die konkreten Zahlen liefern guten Input für eine faktenbasierte Kommunikation. So können wir das Thema, das nach wie vor emotional stark aufgeladen ist, auf eine sachliche Basis stellen und Handlungsbedarfe und -möglichkeiten aufzeigen. Wir führen dazu bundesweit etwa 80 Veranstaltungen pro Jahr durch, wodurch wir die Netzwerksverbindungen unserer Mitglieder und Interessierten kontinuierlich steigern können.

Nach dem Führungspositionengesetz 1 von 2015 gilt eine Geschlechterquote, zunächst müssen Unternehmen den Anteil von Frauen in Aufsichtsräten auf 30 Prozent steigern. Mit dem Führungspositionengesetz 2 von 2021 muss künftig mindestens eine Frau in den Vorstand berufen werden, wenn der Vorstand aus mehr als drei Personen besteht. Wirken diese Gesetze?

Diese Gesetze haben eine positive Strahlkraft. Allerdings gilt das Führungspositionengesetz 1 nur für etwa 100 Unternehmen – es handelt sich um die börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen –, das Führungspositionengesetz 2 sogar nur für etwa 65 Konzerne. Vom Gesetz betroffene Unternehmen haben im vergangenen Jahr tatsächlich genauso viele Frauen in Vorstandspositionen berufen wie Männer. Das ist ein positives Zeichen. Unternehmen müssen sich aber auch Ziele für die Beteiligung von Frauen für die oberste Führungsebene setzen bzw. Zielgrößen benennen. Sie müssen begründen, wenn sie sich für den Vorstand null Frauen zum Ziel setzen. Im Aktiengesetz wurde eine entsprechende Berichtspflicht eingeführt. Im Sommer, wenn das FüPoG seine volle Wirkung entfaltet, werden wir genau hinschauen, ob diese Vorgabe wirklich erfüllt wird.

Können Sie einen Kulturwandel erkennen?
 
Die Offenheit der Unternehmen steigt. Die Demografie lässt den Unternehmen auch keine andere Wahl. Was wir aber immer noch haben, sind verkrustete Strukturen, die häufig männlich dominiert sind. Diese gilt es zu ändern. Das ist ein Prozess, der Zeit in Anspruch nimmt. Ein möglicher, einfacher und wirtschaftlich wirklich sinnvoller Ansatzpunkt, um mehr Vielfalt zu fördern, ist das Recruiting: Unternehmen führen noch immer meist unstrukturierte Interviews bei der Bewerberauswahl. Die Folge davon ist, dass bei der Auswahl von Personal (unbewusste) Vorbehalte oder emotionale Aspekte wirksam werden können. Dann werden auch Menschen ausgewählt, die dem Interviewer oder der Interviewerin persönlich gefallen, aber nicht notwendig die beste Wahl sind für das Unternehmen. Die Auswahl sollte stärker kompetenzorientiert sein. Das sind kleine Schritte, die zu besseren Ergebnissen und zu einer höheren Vielfalt führen.

Zur Person

Prof. Dr. Anja Seng ist Professorin für Personalmanagement an der FOM Hochschule und Beraterin für Employer Branding, Führung und Diversity Management. Zudem gestaltet sie seit 2020 als Vize-Präsidentin und seit 2022 als Präsidentin die Geschicke der Initiative FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte e. V. Sie verfügt über mehr als 25 Jahre Berufserfahrung an der Hochschule in den Bereichen Lehre, Forschung und Hochschulmanagement, die durch Beratungs- und Vortragstätigkeiten optimal ergänzt wird. Dabei ist sie sowohl in KMU als auch in Konzernen unterschiedlicher Branchen und öffentlichen Verwaltungen tätig. Sie zeichnet sich durch umfassendes Engagement für mehr gleichberechtigte Teilhabe in Führungspositionen aus, etwa als Gründungsmitglied und Mentorin in der Initiative Women into Leadership (IWiL), bei ZONTA und als aktives Mitglied bei FidAR.

 

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