Direkter und unmittelbarer Zusammenhang beim Vorsteuerabzug - BFH-Urteil XI R 10/21

In seinem Urteil vom 20. Oktober 2021 (XI R 10/21), veröffentlicht im März 2022, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) betreffend eine Gemengelage aus kostenlosen und kostenpflichtigen Angeboten einer Gemeinde über den Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen. Es zeigt sich: Nach den EuGH-Urteilen in den Rechtssachen „Sveda“ und „Mitteldeutsche Hartsteinindustrie“ herrscht beim erforderlichen direkten und unmittelbaren Zusammenhang von Eingangsleistungen mit besteuerten Ausgangsleistungen nun mehr Großzügigkeit. Dies lässt sich allerdings nur sehr schwer verallgemeinern.

Der vereinfachte Sachverhalt: Eine Gemeinde erhebt Gebühren für den Parkplatz, nicht jedoch für die Touristenattraktion

Eine Gemeinde hatte an einem eher abgelegenen Ort eine Hängeseilbrücke und ein Besucherzentrum als Touristenattraktion errichten lassen, die Besuchern kostenlos zugänglich waren. Den Besuchern stand hierfür ein kostenpflichtiger Parkplatz zur Verfügung. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass dieser für die Nutzung nicht ausreichen würde, wurde ein bislang kostenloser Busparkplatz ebenfalls in einen kostenpflichtigen Besucherparkplatz umgewandelt. Die Gemeinde machte anschließend aus den Eingangsleistungen im Zusammenhang mit dem Bau der Brücke sowie teilweise aus den Baukosten für das Besucherzentrum und für die Erstellung wie auch den Betrieb einer Internetseite den Vorsteuerabzug geltend.

Nachdem das Finanzamt den Vorsteuerabzug abgelehnt hatte, erhob die Gemeinde Klage vor dem Finanzgericht, welches den Vorsteuerabzug gewährte. Hiergegen legte das Finanzamt schließlich Revision beim BFH ein.

BFH: Der bereits vom FG festgestellte Zusammenhang ist nicht revisibel

Der BFH hatte zu klären, ob die genannten Eingangsleistungen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit entgeltlichen Ausgangsleistungen stehen – dies ist die Voraussetzung für den Vorsteuerabzug. Das Finanzamt hatte argumentiert, die Eingangsleistungen hätten dem unentgeltlichen Betrieb der Brücke und des Besucherzentrums und damit einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit gedient, was den Vorsteuerabzug ausschließe. Wollte man argumentieren, diese Eingangsleistungen hätten der wirtschaftlichen Tätigkeit im Zusammenhang mit den kostenpflichtigen Parkplätzen gedient, würde das bedeuten, dass die Brücke gebaut worden wäre, damit Gäste zum Parkplatz kämen. Dies fand das Finanzamt nicht nachvollziehbar.

Ganz anders das Finanzgericht: Dieses hatte die Rechtsgrundsätze des EuGH-Urteils in der Rechtssache „Sveda“ (EuGH vom 22. Oktober 2015, C-126/14) angewendet und war unter Berufung auf die Erörterungen im Gemeinderat zu dem Schluss gekommen, dass die Erzielung von Einnahmen durch Parkgebühren bei der Finanzierung der Brücke sehr wohl eine Rolle gespielt hätten. Außerdem sei die Brücke der Anlass gewesen, die Leistung der Parkplatzüberlassung durch die Gemeinde überhaupt in Anspruch zu nehmen – ohne die Brücke bestünde kein Grund, diesen abgelegenen gebührenpflichtigen Parkplatz zu nutzen.

Diese Würdigung des Finanzgerichts übernimmt der BFH, ohne insoweit eine eigene Prüfung vorzunehmen. Der BFH begründet dies mit dem Verfahrensrecht: Im Rahmen der Revision prüft der BFH gem. § 118 Abs. 2 FGO nur die durch das Finanzgericht vorgenommene rechtliche Würdigung eines Sachverhalts. Die tatsächlichen Feststellungen zum Sachverhalt selbst sind hingegen nur eingeschränkt revisibel. Solange diese Feststellungen gesetzlichen Auslegungsregeln, Denkgesetzen und Erfahrungssätzen nicht widersprechen, haben sie Bestand. Die Frage, ob ein unmittelbarer Zusammenhang der Eingangsleistungen mit besteuerten Ausgangsleistungen vorliegt, liegt für den BFH auf tatsächlichem Gebiet, sodass er diesen Zusammenhang als bestehend hinnimmt.

Demnach sei der Vorsteuerabzug grundsätzlich möglich. Dennoch hat der BFH diesen Fall nicht abschließend entschieden, sondern an das Finanzgericht zurückverwiesen. Dieses hatte nicht beachtet, dass der Busparkplatz zunächst unentgeltlich angeboten und damit nichtwirtschaftlich genutzt wurde, was sich auf den Vorsteuerabzug auswirkt. Hierzu muss das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen treffen.

Dass die Touristenattraktion dem Parkplatz, und nicht der Parkplatz der Touristenattraktion gedient haben soll, erschien dem Finanzamt nicht nachvollziehbar. Eine nochmalige Auseinandersetzung mit dieser Frage durch den BFH hätten sich sicherlich auch andere gewünscht. Allerdings hat es der EuGH im Jahr 2015 in der Rechtssache „Sveda“, auf den sich der BFH im vorliegenden Fall auch bezieht, ebenso gehalten: In diesem Fall hatte ein Unternehmer einen Freizeitweg errichtet, den Besucher kostenlos nutzen konnten. Am Rande dieses Freizeitwegs beabsichtigte der Unternehmer, kostenpflichtige Leistungen wie z.B. Souvenirs anzubieten. Hier entschied der EuGH, dass der Vorsteuerabzug aus den Kosten der Errichtung des Freizeitweges zulässig sei, wenn die Eingangsleistungen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit den geplanten kostenpflichtigen Leistungen stünden. Dies sei eine Sachverhaltsfrage und damit vom vorlegenden Gericht zu prüfen.

Der Zusammenhang mit besteuerten Ausgangsumsätzen ist heute ein schwieriges Thema

Was den direkten und unmittelbaren Zusammenhang beim Vorsteuerabzug betrifft, ist die Rechtslage derzeit diffus. Während der BFH und die Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug früher ablehnten, wenn die entsprechende Maßnahme selbst nicht direkt zu steuerbaren Umsätzen führte, gilt dies nach den Urteilen in den Rechtssachen „Sveda“ und auch „Mitteldeutsche Hartsteinindustrie“, EuGH, Urteil vom 16. September 2020, C-528/19 (vgl. unsere Würdigung auf unserer Webseite), nicht mehr ohne Weiteres. Auch die Erwägungen des EuGH in der Rechtssache Sonaecom (Urteil vom 12. November 2020, C-42/19), nach denen sich der Vorsteuerabzug danach richtet, in welche Ausgangsleistungen die Eingangsleistungen tatsächlich eingehen, werden in solchen Fällen zunehmend eine Rolle spielen. Der hier besprochene Fall zeigt zudem, wie einzelfallabhängig die jeweilige Entscheidung ist und wie schwer die entscheidenden Sachverhaltsdetails ggf. festzustellen sind.

(Stand: 13.04.2022)