Direktanspruch bei zu Unrecht bezahlter Umsatzsteuer - BMF-Schreiben vom 12. April 2022

Bezahlt ein Leistungsempfänger für eine Leistung deutsche Umsatzsteuer an den Leistenden, obwohl hierfür in Deutschland keine Umsatzsteuer geschuldet wird, muss der Kunde die Umsatzsteuer grundsätzlich vom Lieferanten zurückfordern. Der EuGH hatte aber bereits im Jahr 2007 in seinem „Reemtsma“-Urteil entschieden, dass dem Kunden gegebenenfalls das Recht eingeräumt werden muss, die Umsatzsteuer direkt vom Finanzamt erstattet zu bekommen (Direktanspruch). Auf dieser Basis formuliert das BMF mit Schreiben vom 12. April 2022 Kriterien und Ausschlussgründe für den Direktanspruch.

Hintergrund – Neutralität muss gewahrt bleiben

Die Umsatzsteuer muss für den Unternehmer stets neutral sein – dies ist einer der Grundpfeiler des EU-Mehrwertsteuersystems. Bezahlt der Leistungsempfänger Umsatzsteuer an den Leistenden, bekommt er sie als Vorsteuer vom Finanzamt zurück. Das Recht zum Vorsteuerabzug besteht allerdings nicht, wenn die Umsatzsteuer tatsächlich nicht geschuldet wurde. In einem solchen Fall wird sich der Leistungsempfänger in der Regel an den Leistenden wenden, die Umsatzsteuer von ihm zurückfordern und so die Neutralität wiederherstellen. Kann er die Umsatzsteuer vom Leistenden nicht erlangen, bliebe die Neutralität ohne besondere Maßnahmen des Fiskus dauerhaft gestört. Das darf nicht sein – so die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Reemtsma Cigarettenfabriken“ (C-35/05 vom 15. März 2007), die der BFH übernommen und fortentwickelt hat.

Zuständigkeit und Systematik

Über einen Direktanspruch ist im Rahmen eines Billigkeitsverfah­rens nach den §§ 163, 227 AO zu entscheiden. Zuständig ist das auch sonst für den Leistungsempfänger zuständige Finanzamt. Systematisch wird die in der Rechnung falsch ausgewiesene Umsatzsteuer dabei als Vorsteuer berücksichtigt.

Die wesentlichen Kriterien und Ausschlussgründe für einen Direktanspruch

  • Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163, 227 AO sind Ermessensentscheidungen. Das BMF ordnet an, dass hierbei ein Mitverschulden des Leistungsempfängers an der Erstellung der falschen Rechnung zu berücksichtigen ist.
  • Der Direktanspruch ist nachrangig, d. h. der Leistungsempfänger muss zunächst versuchen, den Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer gegenüber dem Leistenden geltend zu machen. Für den Fall der Insolvenz ergeben sich hieraus vielfältige Besonderheiten.   
  • Der Fiskus wird die Umsatzsteuer nur und erst dann an den Leistungsempfänger erstatten, wenn der Leistende (der Umsatzsteuer zu Unrecht an das Finanzamt bezahlt hat) selbst seinen Anspruch gegen das Finanzamt rechtlich nicht mehr geltend machen kann.
  • Ist der zivilrechtliche Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden verjährt, wird der Fiskus keine direkte Erstattung mehr gewähren.
  • Bei einer Bruttopreisvereinbarung hat der Leistungsempfänger bereits gegen den Leistenden keinen Anspruch auf Erstattung der falsch ausgewiesenen Umsatzsteuer. Damit scheidet auch ein Direktanspruch aus.
  • Ein Direktanspruch kommt nur in Betracht, wenn der Rechnungsaussteller tatsächlich eine Leistung erbracht hat; der bloße Steuerausweis in einer Rechnung reicht für sich genommen nicht.
  • Da der Direktanspruch systematisch über den Vorsteuerabzug verwirklicht wird, muss die Rechnung alle erforderlichen Rechnungsangaben enthalten. Dass der Leistungsempfänger nach § 15 Abs. 2 bis 4 UStG gegebenenfalls nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, spielt hingegen keine Rolle, denn auch bei richtiger Rechnungsstellung ohne Umsatzsteuer wäre er nicht mit nicht abziehbarer Vorsteuer belastet worden.
  • Auch in den folgenden Fällen scheidet ein Direktanspruch aus:
    • Das Finanzamt hat dem Leistenden die Umsatzsteuer bereits erstattet.
    • Der Leistende hat die Umsatzsteuer nicht abgeführt.
    • Der Leistende hat die Umsatzsteuer erklärt, aber gleichzeitig Vorsteuer aus Rechnungen geltend gemacht, denen keine Leistungen zugrunde lagen.
    • Der Leistende wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Leistungsbezug an einer Umsatzsteuerhinterziehung beteiligt.

Praxisfragen

Das BMF fordert, dass die fragliche Rechnung alle erforderlichen Rechnungsangaben enthält. Dies überrascht, da die Lösung des Problems über die Gewährung eines eigentlich nicht bestehenden Vorsteuerabzug nur ein Kunstgriff ist und die Rechnung bei ordnungsgemäßem Verlauf gar keine Rolle spielen würde.

Was die Zuständigkeit betrifft, so stellt sich die Frage, wie bei in Deutschland nicht registrierungspflichtigen ausländischen Unternehmern zu verfahren ist. Aus der Formulierung des BMF scheint sich zu ergeben, dass sich in diesem Fall das Finanzamt mit dem Direktanspruch befassen muss, das zuständig wäre, wenn eine Registrierungspflicht bestünde. Damit könnten Direktansprüche nicht im Vorsteuervergütungsverfahren beim Bundeszentralamt für Steuern geltend gemacht werden.

Fraglich ist auch, welche Anforderungen an die vorrangige zivilrechtliche Geltendmachung zu stellen sind. Würde man verlangen, dass der Rechtsweg durch alle Instanzen ausgeschöpft wird, kann das die Erstattung massiv verzögern.

Dass der Leistungsempfänger abwarten muss, ob der Leistende selbst innerhalb der steuerlichen Verjährungsfristen seinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Fiskus geltend macht, stellt ebenfalls eine hohe Hürde dar. Durch verschiedenste Ablaufhemmungen der AO kann die maßgebliche Festsetzungsfrist im Einzelfall Jahrzehnte betragen.

(Stand: 28.04.2022)