Entgeltminderungen bei Kettenlieferungen in der Pharmabranche - BFH-Urteil V R 4/21

Seit dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „Elida Gibbs“ ist geklärt, dass ein Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eine Minderung der Bemessungsgrundlage geltend machen kann, wenn er einen Rabatt nicht an seinen unmittelbaren Abnehmer, sondern an eine Person am Ende einer Leistungskette gewährt. Hierfür muss der Umsatz des Unternehmers aber steuerbar und steuerpflichtig sein. EuGH (C-802/19, 11. März 2021) und nun nachfolgend der BFH (V R 4/21, 18. November 2021) haben einem kreativen Lösungsversuch einer niederländischen Apotheke eine Absage erteilt.

Niederländische Apotheke liefert nach Deutschland

Eine niederländische Apotheke lieferte im Jahr 2013 verschreibungspflichtige Arzneimittel nach Deutschland – sowohl an gesetzlich, als auch an privat versicherte Kunden. Für die Beantwortung eines Fragebogens zur jeweiligen Erkrankung zahlte die Firma eine „Aufwandsentschädigung“ an die Kunden. Bei den Versicherten, die für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel Zuzahlungen leisten mussten, verrechnete die Apotheke die Aufwandsentschädigung mit der Zuzahlung. Von der Zuzahlung befreite Versicherte konnten die Aufwandsentschädigung bei einem Folgekauf anrechnen lassen.

Bei den Arzneimittellieferungen für privat krankenversicherte Kunden ging die Apotheke von einer nach der damaligen Versandhandelsregelung in Deutschland steuerbaren Direktlieferung an diese Kunden aus. Bei diesen Lieferungen machte sie die Aufwandsentschädigung als Minderung der Bemessungsgrundlage geltend, worüber mit dem Finanzamt kein Streit bestand.

Soweit die Lieferungen gesetzlich Versicherte betrafen, erklärte die Apotheke eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in den Niederlanden an die Krankenversicherungen, die Krankenversicherungen erklärten einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Deutschland. Dass bei gesetzlich Krankenversicherten die Krankenversicherung der Leistungsempfänger der Apotheke ist, entspricht der Rechtsprechung in Deutschland. Die Apotheke machte jedoch auch für die Lieferungen an gesetzlich Versicherte eine Minderung der Bemessungsgrundlage geltend und zog den Umsatzsteuerbetrag bei den in Deutschland steuerbaren Lieferungen an die Privatpatienten ab.

Dies akzeptierte das Finanzamt nicht, und auch die Klage vor dem Finanzgericht blieb erfolglos.

EuGH-Vorlagebeschluss: Müssen alle „Lieferungen“ steuerbar sein? Neutralitätsverstoß?

Der BFH schließlich legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH hatte bereits mehrfach entschieden, dass eine Minderung der Bemessungsgrundlage auch dann in Betracht kommt, wenn ein Rabatt nicht dem direkten Leistungsempfänger, sondern einer nachfolgenden Person in einer Leistungskette gewährt wird. Der BFH wollte nun wissen, ob dies grundsätzlich auch dann möglich ist, wenn die „Lieferung“ der Krankenkasse an den Kunden nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt, weil die Krankenkasse keine zivilrechtliche, sondern eine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht erfüllt. Zudem bat der BFH um Klärung, ob es den Grundsätzen der Neutralität und Gleichbehandlung im Binnenmarkt widerspreche, wenn in einer Konstellation wie der vorliegenden inländische Apotheken Rabatte mindernd geltend machen können, ausländische jedoch nicht. Die Klägerin hatte dem BFH in diesem Zusammenhang einen „Lösungsansatz über die Annahme einer steuerpflichtigen Lieferung“, unterbreitet, bei der eine eigentlich nicht vorliegende steuerpflichtige Inlandslieferung fingiert wird, um deren Bemessungsgrundlage mindern zu können.

EuGH und nachfolgend BFH: keine Minderungsmöglichkeit

Der EuGH löst sich in seiner Argumentation von der Logik der beiden Vorlagefragen und verweist vor allem darauf, dass eine Minderung der Bemessungsgrundlage eine im Inland steuerbare und steuerpflichtige Leistung erfordere. Die potenzielle Minderung bezog sich aber auf in den Niederlanden steuerbare und als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfreie Lieferungen. Es sei nicht möglich, die Aufwandsentschädigungen die gesetzlich Versicherten betreffend den in Deutschland steuerbaren Lieferungen an Privatversicherte zuzuordnen und dort mindernd geltend zu machen. Mit der Frage der Neutralität und Gleichbehandlung setzt sich der EuGH nicht auseinander.

Im Zusammenhang mit den zuzahlungsbefreiten Versicherten, bei denen die Aufwandsentschädigung bei einem Folgekauf verrechnet werden konnte, weist der BFH in seiner Folgeentscheidung ergänzend darauf hin, dass schon nach der Definition des Begriffs keine Entgeltminderung vorliege. Wenn anlässlich einer ersten Lieferung ein Rabatt für eine spätere, zweite Lieferung versprochen werde, könne dies zwar grundsätzlich eine Minderung der Bemessungsgrundlage für die zweite Lieferung sein. Dies setze aber voraus, dass der Rabatt „kostenlos“ gewährt wird. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Vielmehr habe der vermeintliche Rabatt eine Leistung des Versicherten an die Apotheke maskiert, da die Versicherten der Apotheke mit der Bearbeitung des Fragebogens einen wirtschaftlichen Vorteil zugewandt haben. Das Argument der Apotheke, der Fragebogen sei eigentlich nur ein Vorwand für den Rabatt gewesen, akzeptierte der BFH nicht.

Praktische Auswirkungen auch auf Herstellerrabatte

Der hier vorliegende Fall, bei dem eine Apotheke den Patienten Nachlässe gewährt, gehört nicht zu den typischen Konstellationen in der Pharmabranche. Große Bedeutung haben jedoch gesetzlich angeordneten Herstellerrabatte an die Krankenkassen, die zu erheblichen finanziellen Einbußen bei den Pharmaunternehmen führen. Die Hersteller würden diese Einbußen nur zu gern durch Minderungen bei der Umsatzsteuer mildern. Insoweit ist das vorliegende Urteil übertragbar: Der Rabatt, auch wenn er nicht den unmittelbaren Leistungsempfänger, sondern einem nachfolgenden Leistungsempfänger gewährt wird, ist nur mindernd zu berücksichtigen, wenn die konkrete Lieferung des Herstellers eine steuerpflichtige Lieferung ist.

(Stand: 16.03.2022)