Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Haftung von Urheberrechtsverletzungen durch Plattformbetreiber

Bestimmte Plattformbetreiber, die fremde Inhalte auf ihren Servern für andere Nutzer bereitstellen (sogenannte Host-Provider), können nach jüngster Rechtsprechung des BGH unter herabgesetzten Anforderungen für von fremden Inhalten ausgehende Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer täterschaftlich für eine eigene öffentliche Wiedergabe in Anspruch genommen werden.

Der BGH hat sich nun von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewandt und den Vorlageentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) angeschlossen. Sachverhalte, aufgrund derer nach alter Rechtsprechung lediglich Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche denkbar waren, könnten künftig auch Schadensersatzansprüche begründen.

Was hat sich geändert?

Bislang ging der BGH in seiner Rechtsprechung zur urheberrechtlichen Providerhaftung für fremde Inhalte davon aus, dass Plattformbetreiber regelmäßig nicht als Täter auf Schadensersatz haften, wenn von Nutzern hochgeladene und Dritten zugänglich gemachte Inhalte gegen Urheberrecht verstoßen. Die Haftung der Plattformbetreiber beschränkte sich in der Vergangenheit damit grundsätzlich auf sich aus der Störerhaftung ergebende Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Eine täterschaftliche Haftung für fremde Inhalte nahm der BGH bisher nur ausnahmsweise unter den hohen Voraussetzungen des Sich-zu-eigen-Machens jener fremden Inhalte durch den Plattformbetreiber oder im Rahmen bestimmter Rechtsscheintatbestände an.

Diese hohen Anforderungen für die Annahme einer eigenen öffentlichen Wiedergabe der Plattformbetreiber und die daraus folgende eigene täterschaftliche Haftung sind mit den aktuellen Entscheidungen des BGH erheblich zugunsten des Schutzes der Urheberrechtsinhaber herabgesetzt worden.

Zuvor hatte der BGH im September 2018 mehrere Verfahren zu Urheberrechtsverletzungen ausgesetzt und dem EuGH einige grundlegende Rechtsfragen, insbesondere zur Auslegung des europarechtlich vollharmonisierten Begriffs der öffentlichen Wiedergabe im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In insgesamt sieben Urteilen revidierte der BGH nun seine bis dahin geltende Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 2. Juni 2022 – I ZR 140/15, I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17 und I ZR 135/18) und folgte damit in allen Fällen den Vorabentscheidungen des EuGH aus dem Juni 2021 zum vollharmonisierten Recht der öffentlichen Wiedergabe im Kontext urheberrechtlicher Verwertungsrechte (EuGH, Urteil vom 22. Juni 2021 – C-682/18 und C-683/18).

Konkret geht es in einem der teilweise seit vielen Jahren anhängigen Verfahren um Videos mit Musikwerken, die auf der Plattform „YouTube“ verbreitet wurden (I ZR 140/15). Die weiteren Urteile betreffen die Share-Hosting-Plattform „Uploaded“, die von der Cyando AG betrieben wird. Bei der Plattform „Uploaded“ können Nutzer beliebige Inhalte hochladen, auf die dann von Dritten über automatisch erstellte Download-Links zugegriffen werden kann. Hier hatte der BGH festgestellt, dass für den Betreiber einer solchen Share-Hosting-Plattform dieselben Grundsätze wie für den Betreiber einer Video-Sharing-Plattform gelten.

In seinen Vorabentscheidungen hatte der EuGH zwar daran festgehalten, dass Plattformbetreiber grundsätzlich nur dann für fremde, urheberrechtsverletzende Inhalte haften, wenn sie von diesen wissen und eine unverzügliche Löschung und Zugangssperrung unterlassen. Gleichzeitig machte der EuGH aber deutlich, dass Plattformbetreiber, die ihrem Geschäftsmodell nach eine zentrale Rolle für Urheberrechtsverletzungen durch ihre Nutzer einnehmen, nunmehr schon durch diese Rolle zum vorsorglichen Schutz der Urheberrechte der Rechteinhaber verpflichtet sind. Diese zentrale Rolle der Plattformbetreiber sei immer dann anzunehmen, wenn diese ein über das bloße Zurverfügungstellen und Verwalten ihrer Online-Infrastruktur hinausgehendes Nutzerangebot bereitstellen, welches geeignet ist, die öffentliche Wiedergabe potenziell urheberrechtsverletzender Inhalte erheblich zu erleichtern.

Der damit einhergehenden Schutzverantwortung genügen diese Plattformbetreiber laut BGH aber nur dann, wenn sie ihrerseits solche präventiven, technischen Schutzmaßnahmen ergreifen, die „von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen“.

Lediglich reaktive technische Maßnahmen der Plattformbetreiber gegen Urheberrechtsverletzungen genügen nach Ansicht des EuGH nicht mehr, um sich in Verletzungsfällen der Inanspruchnahme auf Schadensersatz zu entziehen.

Wie geht es weiter?

Da die Vorinstanzen des BGH noch keine tatsächlichen Feststellungen – etwa über die Frage nach den geeigneten technischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen – getroffen hatten, verwies der BGH mit seinen aktuellen Urteilen die Fälle nunmehr an die Berufungsgerichte zur weiteren Tatsachenprüfung sowie erneuten Verhandlung und Entscheidung im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechungsänderung zurück.

Dass das vom BGH übernommene, neue Regelungspaket des EuGH die bisherige Rechtsprechung zur Haftung von Hosting-Providern für Urheberrechtsverletzungen verdrängen wird, steht aber bereits jetzt fest.

Gleichzeitig werden die Berufungsgerichte bei Annahme einer öffentlichen Wiedergabe nach den Maßgaben des EuGH in den Einzelfällen auch zu prüfen haben, ob der Anwendungsbereich des seit dem 1. August 2021 in Kraft getretenen Gesetzes über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (UrhDaG) eröffnet ist. Dieses ordnet die Haftung von bestimmten Plattformbetreibern für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer neu und definiert ein für die unter seinen Anwendungsbereich fallenden Host-Provider umfassendes Pflichtenprogramm.

Welche Diensteanbieter sind betroffen?

Mit seinen jüngsten Entscheidungen setzt der BGH ein Zeichen zugunsten eines hohen Schutzniveaus für Urheberrechte, erweitert den Kreis der potenziell Passivlegitimierten für Schadensersatzansprüche und löst damit Unterschiede zwischen nationalem und europäischem Haftungsmodell bezüglich der infrage stehenden täterschaftlichen Haftung bei urheberrechtsverletzenden Nutzeruploads auf.

Von Relevanz könnten jene Entscheidungen insbesondere für solche Diensteanbieter sein, welche nicht bereits dem Anwendungsbereich des im vergangenen Jahr in Kraft getretenen UrhDaG unterfallen, da dieses eine umfassende Neuregelung der Verantwortung bestimmter Plattformbetreiber für Rechtsverstöße ihrer Nutzer vorsieht.

Zwar betrifft die hier diskutierte Rechtsprechung unmittelbar Video-Sharing-Plattformen und Share-Hoster als Unterformen von Host-Providern, für die für künftige Haftungsfragen das nunmehr in Kraft getretene speziellere UrhDaG gelten könnte, doch sollten insbesondere Plattformbetreiber, die aus dem Anwendungsbereich des UrhDaG ausgeschlossen sind (z. B. Betreiber von Online-Marktplätzen, Open-Source-Plattformen oder nicht gewinnorientierten Plattformen), die Rechtsprechungsentwicklung für die Haftung von Host-Providern für Verletzungen ihrer Nutzer aufmerksam verfolgen.

Der vom BGH festgelegte Maßstab könnte demnach richtungsweisend für die allgemeine Haftung von Hosting-Plattformen für fremde Inhalte sein. Es bleibt insbesondere abzuwarten, ob die Berufungsgerichte die noch recht vagen, vom BGH aufgestellten Anforderungen an die technischen, präventiven Maßnahmen der Plattformbetreiber weiter konkretisieren.

Was ist jetzt zu tun?

Es bleibt zu hoffen, dass die anstehenden Entscheidungen weitere Klarheit in die aktuell sehr vielschichtige und teilweise noch recht abstrakte Gemengelage der Rechtsentwicklungen im Urheberrecht bringen.

Plattformbetreiber sollten bereits jetzt ihr jeweiliges Geschäftsmodell laufend auf etwaiges Missbrauchspotenzial hin überprüfen und im Falle einer erkennbaren verletzungsfördernden digitalen Infrastruktur entsprechende präventive Schutzmechanismen gegen Verletzungen durch Nutzeruploads vorhalten, um einer potenziellen Inanspruchnahme durch Rechteinhaber vorzubeugen. Mindestens sollte aber vom Anbieten solcher Hilfsmittel absehen werden, die speziell zum Teilen unerlaubter Inhalte bestimmt sind oder sich erkennbar eignen, das Teilen urheberrechtsverletzender Inhalte zu fördern oder zu erleichtern.

Zusätzlich zu den erforderlichen technischen Schutzmechanismen ist es jedoch in jedem Fall empfehlenswert, Plattformnutzer mittels Allgemeiner Geschäfts- bzw. Nutzungsbedingungen vertraglich zur urheberrechtskonformen Nutzung zu verpflichten und gleichzeitig rechtssichere Mechanismen zur Haftungsfreistellung zu vereinbaren.

Hierbei unterstützen wir Sie gern.

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