Zahlreiche Neuerungen im E-Commerce, Verbraucherschutz und Kaufrecht – Check-up von AGB & Co.

11.07.2022 – Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind – überwiegend in Umsetzung europäischer Vorgaben − zahlreiche Gesetzesänderungen insbesondere des BGB, des EGBGB und des UWG in Kraft getreten, zuletzt zum 1. Juli 2022. Unternehmen (u. U. auch ausländische) sind je nach Branche, Vertriebsweg und Ausrichtung unterschiedlich stark betroffen. Höchste Zeit für einen Überblick und einen Check-up von AGB, Vertragsmustern und sonstigen (Online-) Geschäftspraktiken. Bei Verstößen drohen neue Schadensersatzansprüche und Geldbußen.

Neuerungen im E-Commerce

Als letzte Regelung des Gesetzes für faire Verbraucherverträge vom August letzten Jahres ist am 1. Juli 2022 – unabhängig von europäischen Vorgaben – der sogenannte „Kündigungsbutton“ in Kraft getreten, § 312k BGB. Analog dem „Bestellbutton“ gem. § 312j Abs. 3 BGB müssen Dauerschuldverhältnisse (z. B. Miet-, Fitness- oder Versorgungsverträge), die im elektronischen Geschäftsverkehr über eine Webseite abgeschlossen werden können, ab jetzt über eine ständig vorzuhaltende Kündigungsschaltfläche auch wieder kündbar sein – ordentlich wie außerordentlich. Das einzuhaltende Verfahren bis hin zur Beschriftung des Buttons ist detailliert vorgegeben und gilt beispielsweise auch, wenn der konkrete Vertrag klassisch per Schriftform abgeschlossen wurde (auch bereits vor dem 1. Juli) oder für seine Beendigung ausdrücklich eine andere (Text-) Form (z. B. Schriftform oder E-Mail) vorgesehen ist. Fehlt der Kündigungsbutton oder wird er nicht richtig umgesetzt, kann der Verbraucher „jederzeit und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist“ kündigen, was vor allem auch bei regulär nicht oder nur eingeschränkt stornierbaren Hotel- und Ferienhausbuchungen praktisch werden könnte. Wie immer im Verbrauchervertragsrecht sind von diesen Besonderheiten des deutschen Rechts auch ausländische Anbieter betroffen, die ihr Angebot (auch) auf deutsche Verbraucher ausrichten.

Eine weitere Neuerung im E-Commerce beruht auf der Umsetzung der sogen. Omnibus- oder Modernisierungsrichtlinie (EU 2019/2161) in deutsches Recht zum 28.05.2022 und betrifft Betreiber von Online-Marktplätzen im Sinne der (nicht ganz klaren) Definition des § 312l Abs. 3 und 4 BGB. Durch § 312l Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 246d EGBGB werden diesen (Plattform-) Betreibern erstmals verschiedene Informationspflichten gegenüber Verbrauchern auferlegt, die u. a. das Ranking von Angeboten (Parameter und Gewichtung), die Unternehmer- oder Verbrauchereigenschaft des Anbieters und die mögliche Einbeziehung des Betreibers in die Vertragserfüllung betreffen. Das Verhältnis zwischen Betreiber und Anbieter ist bereits seit Juli 2020 durch die sogen. P2B-Verordnung (EU 2019/1150) grundlegend reglementiert.

Änderungen im Verbraucher-, Wettbewerbs- und AGB-Recht

Die aktuellen Gesetzesänderungen betreffen aber nicht nur spezifisch den Onlinehandel, sondern zunächst ganz generell die Bereiche Fernabsatz und Direktvertrieb. Infolge der genannten Modernisierungsrichtlinie zum 28.05.2022 neu gefasst wurden hier etwa die Regeln über das vorzeitige Erlöschen des Widerrufsrechts bei Dienstleistungen und digitalen Inhalten (§ 356 Abs. 4 und 5 BGB), über die Tragung von Rücksendekosten (§ 357 Abs. 5 bis 8 BGB), über den Wertersatz nach erfolgtem Widerruf (§ 357a BGB) und der lange Katalog mit den einzelnen Informationspflichten des Unternehmers (Art. 246a § 1 EGBGB). Auch die Musterwiderrufsbelehrung hat kleinere (aber dennoch abmahnfähige) Änderungen erfahren, so dass Online-, Versand- und Direkthändler generell ihre AGB und sonstigen Texte überprüfen lassen sollten. Vorsicht ist zudem bei der Preisauszeichnung (insbesondere von Ermäßigungen) geboten, da auch die Preisangabenverordnung (PAngV) von den Änderungen des zugrundeliegenden EU-Rechts betroffen ist.

Auch das UWG hat in Umsetzung der Modernisierungsrichtlinie bzw. der durch sie geänderten Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zum 28. Mai 2022 erhebliche Neuerungen erfahren, welche die zivilrechtlichen Pflichten der Unternehmer im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern teilweise überlagern und ergänzen. Zu nennen sind hier Informationspflichten zum Ranking von Suchergebnissen, zu Nutzerbewertungen, bei Produktvarianten innerhalb der EU, zur Unternehmereigenschaft sowie Kennzeichnungspflichten von Influencern.

Gleichfalls für den gesamten Verbraucherverkehr (aber u. U. auch für den Unternehmerverkehr – Indizwirkung) relevant sind Änderungen des AGB-Rechts durch das eingangs genannte Gesetz für faire Verbraucherverträge, die bereits zum 1. Oktober 2021 bzw. 1. März 2022 in Kraft getreten waren. So sind Abtretungsausschlüsse in AGB, welche die kollektive Durchsetzung von Verbraucherforderungen durch Legal-Tech-Anbieter erschweren, nur noch eingeschränkt zulässig (§ 308 Nr. 9 BGB). Weiterhin dürfen automatische Vertragsverlängerungen über eine Grundlaufzeit von maximal zwei Jahren hinaus nur noch auf unbestimmte Zeit und mit einer vertraglichen Kündigungsfrist von höchstens einem Monat vorgesehen werden (§ 309 Nr. 9 BGB). Die ursprünglich geplante sogenannte „Bestätigungslösung“ für telefonisch abgeschlossene Verträge wurde hingegen zu Recht nicht umgesetzt; stattdessen ist jetzt für Energielieferverträge Textform vorgeschrieben (§ 41b Abs. 1 EnWG).

Kaufrechtsreform und digitale Produkte

Von den bereits zu Jahresanfang in Kraft getretenen Reformen des Kaufrechts sind grundsätzlich alle Hersteller und Händler von Waren und digitalen Produkten betroffen. Hintergrund sind die seit ihrer ersten Vorlage im Jahr 2015 umstrittenen Richtlinien der EU über den Warenkauf (EU 2019/771) und digitale Produkte (EU 2019/770). Diese Richtlinien haben die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf von 1999, auf der bekanntlich die große Schuldrechtsmodernisierung des Jahres 2002 beruhte, zum Zwecke vermeintlicher Verbesserungen des Verbraucherschutzes sachlich ohne Not abgelöst. Schon die künstliche Aufspaltung von herkömmlichen Waren (einschließlich solcher mit digitalen Elementen) und digitalen Produkten (digitale Inhalte und Dienstleistungen) mit unterschiedlichen Gewährleistungsregimen schaffen neue Zweifelsfragen, welche durch eine komplizierte Umsetzung in das deutsche BGB teilweise noch vergrößert werden. Grundlegend neue Digitalphänomene wie Non Fungible Token (NFT) und Smart Contracts hingegen sind weiterhin ungeregelt.

Unabhängig vom Vertriebsweg konzentrieren sich die Neuregelungen der §§ 475a ff und 327 ff BGB auf den Verbrauchervertrag und hier besonders auf digitale Waren und Produkte. Die Beweislast für die Mängelfreiheit trägt der Verkäufer nunmehr für ein Jahr (bisher sechs Monate), bei Waren mit digitalen Elementen sogar für bis zu zwei Jahren seit Gefahrübergang bzw. Bereitstellung (§ 477 BGB). Auch die Bestimmungen über Hersteller- und Verkäufergarantien (§ 479 BGB) sowie zahlreiche weitere Details (z. B. zum „Bezahlen“ mit personenbezogenen Daten, § 312 Abs. 1a BGB) wurden geändert. Besonders herausfordernd ist die vieldiskutierte Aktualisierungs- und Informationspflicht des Verkäufers bei digitalen Waren und Produkten (§§ 474b Abs. 4, 327f BGB). Zwar gilt auch sie unmittelbar „nur“ beim Endverkauf an Verbraucher, jedoch können Händler geschuldete Updates in aller Regel nur durch entsprechende Vertragsgestaltungen in der Lieferkette bis hin zum Hersteller durchreichen und damit gegenüber dem Verbraucher auch erfüllen. Schließlich erfordern Änderungen beim Sachmangelbegriff (§ 434 BGB), der Nacherfüllung (§ 439 BGB) insbesondere bei „Ein- und Ausbau“-Fällen und beim Lieferantenregress (§§ 445a, 445c, 327u BGB) eine Überprüfung von Ein- und Verkaufsbedingungen nicht nur beim Verbrauchervertrag (B2C), sondern auch im B2B-Bereich.

Erhebliche Konsequenzen bei Verstößen

Werden die neuen Vorgaben nicht oder nicht korrekt umgesetzt, ist mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen. Neben den bislang bereits üblichen Abmahnungen durch Konkurrenten und Verbraucherverbände sowie (ggf. auch kollektiv einklagbaren) Schadensersatzansprüchen nach Zivilrecht, wurde jetzt auch im UWG ein individueller Schadensersatzanspruch des Verbrauchers eingeführt (§ 9 Abs. 2 UWG). Daneben drohen bei einem „weitverbreiteten Verstoß“ gegen Verbraucherinteressen (mit oder ohne „Unions-Dimension“) gem. § 19 UWG i. V. m. der CPC-Verordnung (EU 2017/2394) Bußgelder in Höhe von bis zu 50.000,00 EUR bzw. von bis zu 4% des Jahresumsatzes bei größeren Unternehmen, d. h. solchen mit über 1,25 Mio. EUR Jahresumsatz. Entsprechendes gilt nach dem neuen Art. 246e EGBGB bei Verstößen gegen bestimmte Verbraucherschutzbestimmungen des (EG)BGB (oder entsprechender Regelungen des Rechtes eines anderen Mitgliedstaates, das auf den Vertrag anwendbar ist) wie z. B. der Verwendung unwirksamer AGB-Klauseln, fehlerhafter Informationen, der Nichtbestätigung des Vertragsinhalts oder auch schlicht verspäteter Lieferung.

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