Referentenentwurf zum Digital-Gesetz (DigiG): DiGA – quo vadis?

Die Intention des vom Bundesministerium für Gesundheit am 13. Juli 2023 veröffentlichten Referentenentwurfes eines „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG) ist zu begrüßen, soll es doch den Behandlungsalltag für Ärzt*innen und Patient*innen durch digitale Lösungen vereinfachen. Die Einrichtung der elektronischen Patientenakte (ePA) ab Anfang 2025 mit Opt-out-Verfahren sowie der verbindliche Start des E-Rezepts zum 1. Januar 2024 sind beispielsweise Maßnahmen des DigiG, die die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben sollen.

Im Hinblick auf Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) strebt der Gesetzgeber an, diese „noch besser für die Versorgung nutzbar zu machen“, indem sie „tiefer in die Versorgungsprozesse integriert werden“ sollen, und berücksichtigt dabei die seit Oktober 2020 „gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen“ mit der DiGA. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die durch das DigiG vorgesehenen Änderungen für DiGA-Hersteller.

DiGA als Leistungen bei Schwangerschaft, Mutterschaft und Entbindung

Versicherte sollen zukünftig auch im Rahmen der Schwangerschaft, Mutterschaft und Entbindung einen Anspruch auf die Versorgung mit DiGA haben. Bisher sind solche digitalen Produkte nicht von der DiGA-Definition erfasst, da diese an den Krankheitsbegriff anknüpft. Daher erfolgt in der Gesetzesbegründung auch gleich wieder die Einschränkung, dass in diesem Bereich nur solche DiGA erstattungsfähig sein sollen, die der Versorgung und Unterstützung zur Begleitung einer nicht regelhaft verlaufenden Schwangerschaft dienen, DiGA zur Prävention sind zudem ausgeschlossen.

Während das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) möchte, dass diese Einschränkung im Gesetz noch deutlicher zum Ausdruck kommt, fordern Herstellerverbände zur Schließung von Versorgungslücken die Ausweitung des DiGA-Anspruchs auf digitale Angebote zur allgemeinen Schwangerschaftsbegleitung, Empfängnisverhütung und Mutterschaft.

Geplante DiGA-Regelungen des DigiG in Kürze

  • Medizinprodukte der Klasse IIb in die DiGA-Definition einbezogen
  • DiGA als Leistungen bei nicht regelhaft verlaufender Schwangerschaft, Mutterschaft und Entbindung möglich
  • DiGA-Hersteller zur leihweisen Zurverfügungstellung technischer Ausstattung verpflichtet
  • Versicherten steht eine 14-tägige Erprobungsphase der DiGA zu
  • Stärkere Einbeziehung von Leistungserbringern in DiGA vorgesehen
  • Anwendungsbegleitende Erfolgsmessung für DiGA-Hersteller obligatorisch
  • Erfolgsabhängige Vergütung in Höhe von mindestens 20 %
  • Beschränkung der Kooperation zwischen DiGA-Herstellern und Herstellern von Arznei- und Hilfsmitteln
  • Verlängerung des Prüfzeitraums des BfArM um bis zu drei Monate

Medizinprodukte der Klasse IIb sind DiGA-fähig

Bereits in der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege angekündigt, will der Gesetzgeber die DiGA-Definition auf nutzenstiftende Medizinprodukte der Risikoklasse IIb ausweiten. Mit dieser Öffnung soll eine Erweiterung des Leistungsanspruchs durch weitergehende Versorgungsmöglichkeiten wie personalisierte Handlungsempfehlungen und kontinuierliches Monitoring erreicht werden. Gleichwohl sollen DiGA der Risikoklasse IIb von einer wichtigen Besonderheit des Fast-Track-Verfahrens ausgeschlossen werden, denn diese müssen bereits mit Antragstellung die vollständige Evidenz vorlegen, ein Erprobungszeitraum besteht nicht. Ferner müssen sie zwingend einen medizinischen Nutzen haben, patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen reichen nicht aus. Der Gesetzgeber begründet dies nebulös mit der Erforderlichkeit des Erfahrungsgewinns bei der Bewertung von digitalen Gesundheitsanwendungen höherer Risikoklassen und zur Stärkung des Vertrauens der Versicherten in den Mehrwert bei komplexeren Anwendungen.

Aus gesundheitswirtschaftlicher Sicht ist die Einbeziehung von Medizinprodukten höherer Risikoklassen zu begrüßen und findet Befürworter bei den Herstellerverbänden. Diese fordern auch die konsequente Anwendung der Erprobungsregelungen auf DiGA der Risikoklasse IIb. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen lehnt diese Neuregelung ab und fordert eine fachliche Bewertung der zugrunde liegenden Methode inklusive deren Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.

Pflicht zur leihweisen Zurverfügungstellung technischer Ausstattung

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass DiGA-Hersteller zukünftig verpflichtet sein sollen, den Versicherten die im Einzelfall zur Versorgung mit einer DiGA erforderliche technische Ausstattung zur Verfügung zu stellen. Bezweckt werden soll damit eine Kostenreduktion und eine Stärkung der Nachhaltigkeit, allerdings wohl nur bei kostenintensiver begleitender Hardware.  

Dies ist für die DiGA-Hersteller mit einem hohen administrativen und finanziellen Aufwand verbunden. Die Herstellerverbände fordern daher vor allem eine Klarstellung, dass keine Pflicht zur leihweisen Zurverfügungstellung besteht, sofern es sich um die grundlegenden Endgeräte (z. B. Laptops, Smartphones) handelt sowie wenn die Wiederverwendung der technischen Ausstattung nicht aus hygienischen Gründen ausgeschlossen ist. Außerdem sei zu regeln, dass die Hersteller nicht die Kosten der Logistik sowie die Haftung für Schäden an der Hardware tragen. Jedenfalls seien die Kosten für die leihweise Zurverfügungstellung in die Vergütungsvereinbarungen einzupreisen.

14-tägige Probephase für DiGA vorgesehen

Versicherten soll zudem künftig die Möglichkeit gegeben werden, die DiGA 14 Tage lang nach erstmaliger Nutzung zu testen. Lehnt der Versicherte die Weiternutzung in dieser Zeit ab, besteht kein Vergütungsanspruch der DiGA-Hersteller. Durch diesen Ansatz sollen DiGA-Hersteller angehalten werden, Anwendungen nutzerfreundlich und bedarfsgerecht zu gestalten, um Nutzungsabbrüche zu vermeiden.

Herstellerverbände kritisieren diese geplante Neuregelung stark und weisen darauf hin, dass dieses Probierrecht, das es in anderen Leistungsbereichen des SGB V nicht gibt, zu einer einseitigen Kostenlast der DiGA-Hersteller insbesondere durch anfängliche Registrierungs- und Support-Aufwände führt. Zudem löse dieses Rückgaberecht eine Herabsetzung der digitalen Medizin zu Konsumartikeln aus.

Stärkere Einbeziehung von Leistungserbringern in die DiGA

In der Gesetzesbegründung findet sich eine weitere Ausweitung des Anwendungsbereichs von DiGA, auch wenn der Gesetzeswortlaut des § 33a SGB V dies eigentlich schon von Anfang an hergibt. Es scheint, als wolle der Gesetzgeber zukünftig DiGA, die eine Interaktion zwischen den Leistungserbringern wie Vertragsärzt*innen oder Vertragspsychotherapeut*innen vorsehen, akzeptieren. Die menschliche Begleitung wird bei der Nutzung von DiGA bisher nur marginal zur Gewährleistung der sicheren Anwendung des Produkts und zur Wahrung der Patientensicherheit akzeptiert, bei darüber hinausgehenden Interaktionen stellt das BfArM meist die digitale Hauptfunktion des Produkts infrage. Es bleibt abzuwarten, inwiefern diese doch recht unauffällige Klarstellung des DigiG sich in der Entscheidungspraxis des BfArM widerspiegeln wird.

Anwendungsbegleitende Erfolgsmessung für gelistete DiGA

Hersteller sollen verpflichtet werden, fortan dauerhaft eine anwendungsbegleitende Erfolgsmessung – bspw. auf Grundlage der Nutzungshäufigkeit – durchzuführen und die Ergebnisse im DiGA-Verzeichnis zu veröffentlichen. Die Produkte sollen nicht nur einmalig in einem fixen Studiensetting betrachtet sondern darüber hinaus dauerhaft in ihrem Funktionieren in der Versorgungswirklichkeit beobachtet werden, auch um Patient*innen und Leistungserbringer*innen in ihrer Auswahlentscheidung zu unterstützen und den Qualitätswettbewerb unter den Produkten zu stärken.

Die Herstellerverbände lehnen diese geplante Regelung ab und führen aus, dass die Wirksamkeit einer digitalen Gesundheitsanwendung bereits unter umfassenden wissenschaftlichen und regulatorischen Vorgaben von den Herstellen in Studien nachgewiesen wird. Ferner bedürfe es für eine Rechtfertigung einer Auswirkung auf die Vergütungsbeträge eines klaren konzeptionellen und methodologischen Rahmenwerks.

Erfolgsabhängige Vergütung von mindestens 20 Prozent

Zudem soll der Anteil erfolgsabhängiger Preisbestandteile mindestens 20 Prozent des Vergütungsbetrags betragen. Bereits bestehende Vergütungsvereinbarungen sollen nachträglich angepasst werden. Die Ergebnisse der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung seien auch im Rahmen der erfolgsabhängigen Preisbemessung zu berücksichtigen. Erreicht werden soll hierdurch eine leistungsgerechte Vergütung.

Das BfArM gibt zu bedenken, dass dadurch Fehlanreize und Wettbewerbsnachteile geschaffen würden, und schlägt eine Umformulierung dergestalt vor, dass sich der festgelegte Vergütungsbetrag aufgrund erfolgsabhängiger Preisbestandteile um bis zu 20 % erhöhen kann. Herstellerverbände argumentieren ebenfalls gegen die Neuregelung vor allem mit der Begründung, dass die erfolgsabhängige Vergütung zu Kostenunsicherheiten auf Seiten der Hersteller führe, und sprechen sich für eine Umgestaltung als Bonus-Regelung aus.

Kooperationen zwischen DiGA-Herstellern und Herstellern von Arzneimitteln und Hilfsmitteln

DiGA-Herstellern soll es untersagt werden, mit Herstellern von Arzneimitteln oder Hilfsmitteln Rechtsgeschäfte vorzunehmen oder Absprachen zu treffen, die geeignet sind, die Wahlfreiheit der Versicherten bei der Auswahl der Arzneimittel oder Hilfsmittel zu beschränken. Ergänzend soll auf DiGA, die zur Verwendung mit einem bestimmten Hilfsmittel oder Arzneimittel bestimmt sind, kein Anspruch bestehen. Dadurch sollen die Wahlfreiheit der Versicherten geschützt und Lock-in-Effekte vermieden werden. Während der GKV-SV diese Regelung ausdrücklich begrüßt und das BfArM sich sogar für eine Ausweitung der Verbotsregelung auf Kooperationen mit Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen ausspricht, fordern die Herstellerverbände eine begrenzende Klarstellung, dass es kein grundsätzliches Verbot von solchen Kooperationen gibt, zumal auch Arznei- und Hilfsmittelhersteller DiGA anbieten könnten. Jedenfalls soll es DiGA-Herstellern gestattet sein, nachgewiesene positive Effekte in der Kombination von DiGA mit Arznei- oder Hilfsmitteln zu bewerben.

Prüfzeitraum des BfArM kann verlängert werden

Die bisher dreimonatige Prüffrist des BfArM für DiGA-Anträge soll zukünftig in Einzelfällen um bis zu weitere drei Monate verlängert werden können. Eine Verlängerung kommt nach der Gesetzesbegründung insbesondere dann in Betracht, wenn eine Vorlage oder Bewertung einer Vielzahl zusätzlicher Informationen erforderlich ist und ein Antrag aufgrund des Ablaufs der Prüffrist andernfalls negativ zu bescheiden oder von dem Hersteller zurückzunehmen wäre, sodass im Ergebnis seriösen und qualitativ hochwertigen Antragstellern eine Brücke gebaut werden soll.

Das BfArM möchte klargestellt wissen, dass es die Regelungen, wann solche Einzelfälle vorliegen, konkretisieren darf. Die Herstellerverbände sehen die alleinige Hoheit des BfArM über die Verlängerung kritisch und befürchten (Rechts-)Unsicherheiten.

Fazit

Das DigiG enthält für den DiGA-Markt einige wichtige und begrüßenswerte Regelungen. Insbesondere die Einbeziehung von Medizinprodukten der Klasse IIb von Leistungserbringern in die DiGA-Versorgung sind hier zu nennen. Gleichwohl schießt das DigiG an vielen Stellen über das Ziel hinaus und schafft unnötige regulatorische Hürden. Begründet mit der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung in Kombination mit den Erfahrungswerten der Vergangenheit, sollen DiGA-Hersteller einer Vielzahl neuer Maßnahmen unterworfen werden, die vor allem die wirtschaftliche Lage der häufig jungen Unternehmen erheblich gefährden können. So erscheinen beispielsweise die Pflicht zur anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung sowie deren Auswirkung auf die Vergütungspreise, die Pflicht zur leihweisen Überlassung von Hardware sowie eine 14-tägige Probezeit als unverhältnismäßige Belastung, vor allem im Vergleich zu anderen Anbietern von Leistungen zur Krankenbehandlung, wie Arznei- und Hilfsmittelherstellern oder Heilmittelerbringern. Im Ergebnis entsteht der Eindruck, dass der Gesetzgeber der von Beginn an anhaltenden Kritik an DiGA – diese seien zu teuer und deren Nutzen für die Versorgung fraglich  – durch besonders harte Regelungen entgegenzutreten versucht.

Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?

Sprechen Sie uns an

Autor*innen

Julia Kleinschmidt
Tel: + 49 30 208 88 1037

Sebastian Cornelius Retter
Tel: +49 30 208 88 1043

Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 3-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.