Vorsteuerabzug von zukünftigen Gesellschaftern und Vorgründungsgesellschaften - BMF-Schreiben vom 12. April 2022

Nach vielen Jahren macht sich die Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben vom 12. April 2022 die EuGH-Rechtsprechung zu eigen, nach der zukünftige Gesellschafter und Vorgründungsgesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen den Vorsteuerabzug in Bezug auf Eingangsleistungen geltend machen können, die auf die Gesellschaft übergehen. Die zugrunde liegende Rechtsprechung ist diffizil. Ob die Voraussetzungen vorliegen, muss im Einzelfall sorgfältig geprüft werden.

Hintergrund des BMF-Schreibens

Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist, dass der Leistungsempfänger Unternehmer ist und die bezogene Leistung für seine besteuerten Umsätze zu verwenden beabsichtigt – entweder direkt und unmittelbar oder als Teil der Gemeinkosten. Vor der Gründung einer unternehmerisch tätigen Gesellschaft beziehen oftmals die späteren Gesellschafter einzeln oder als sogenannte Vorgründungsgesellschaft Eingangsleistungen im eigenen Namen. Hieraus ergeben sich komplexe Fragen hinsichtlich des Vorsteuerabzugs, mit denen sich der EuGH in drei Fällen befasst hatte:

In der Rechtssache Faxworld (29. April 2004, C-137/02) hatte eine Vorgründungsgesellschaft die von ihr angeschafften Gegenstände im Rahmen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen entgeltlich auf die spätere Faxworld AG übertragen. Andere Ausgangsumsätze führte die Vorgründungsgesellschaft nicht aus. Der EuGH entschied, dass die Vorgründungsgesellschaft durch die Geschäftsveräußerung im Ganzen Unternehmerin gewesen sei, auch wenn diese Geschäftsveräußerung vom Anwendungsbereich der MwSt ausgenommen war. Nach der „Abbey National“-Rechtsprechung ist bei einer Geschäftsveräußerung der Vorsteuerabzug zulässig – basierend auf den sonstigen Umsätzen des Unternehmens. Eigene sonstige Umsätze hatte die Vorgründungsgesellschaft zwar nicht ausgeführt, der EuGH rechnete der Vorgründungsgesellschaft aber die Ausgangsumsätze der Faxworld AG zu und erlaubte der Vorgründungsgesellschaft den Vorsteuerabzug.

Im Fall Polski Trawertyn (1. März 2012, C-280/10) hatten die zukünftigen Gesellschafter ein Grundstück gekauft und es später in die Gesellschaft eingelegt, was nach polnischem Recht ein steuerbarer, aber steuerfreier Vorgang war. Die Gesellschaft machte den Vorsteuerabzug aus der Rechnung über das Grundstück geltend, die auf die Gesellschafter ausgestellt war. Das Finanzamt versagte insoweit den Vorsteuerabzug, als die Gesellschaft nicht der Erwerber des Grundstücks war. Der Vorsteuerabzug aus der Rechnung, die der Notar der Gesellschaft für die Gründung ausgestellt hatte, wurde ebenfalls nicht gewährt, weil die Rechnung auf eine noch nicht existierende Gesellschaft ausgestellt worden sei. Der EuGH kam hier zu dem Ergebnis, dass wegen des Neutralitätsgebots jedenfalls einem von beiden, also entweder der Gesellschaft oder den Gesellschaftern, der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen zu gewähren sei, legte sich insofern jedoch nicht fest.

Im Fall Malburg (13. März 2014, C- 204/13; basierend auf einer Vorlage des BFH vom 20. Februar 2013, XI R 26/10) schließlich hatte ein Steuerberater entgeltlich einen Mandantenstamm erworben, um ihn dann einer Steuerberatungsgesellschaft unentgeltlich zur Nutzung zu überlassen, an der er mehrheitlich beteiligt war. Der EuGH berief sich darauf, dass die unentgeltliche Nutzungsüberlassung kein entgeltlicher Vorgang sei und deshalb kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Eingangsleistung und besteuerten Ausgangsumsätzen bestehe. In einer solchen Konstellation käme eine Zurechnung der Umsätze der Gesellschaft, wie im Fall Polski Trawertyn, nicht in Betracht.

Der BFH (11. November 2015, V R 8/15) hatte unter Berücksichtigung dieser EuGH-Urteile einen Fall entschieden, bei dem der Kläger Beratungsleistungen in Bezug auf einen avisierten Unternehmenskauf und eine GmbH-Gründung bezogen hatte, die dann nicht zustande kamen. Entscheidend war aus Sicht des BFH, dass die bezogenen Beratungsleistungen selbst dann nicht auf die GmbH übertragbar gewesen wären, wenn sie tatsächlich gegründet worden wäre. Es seien durch die Beratungsleistungen keine „Investitionsgüter“ entstanden. Hierbei bezog sich der BFH auf das „Malburg“-Urteil.

Regelungen des BMF-Schreibens

Das BMF greift dieses BFH-Urteil und die dort zitierte EuGH-Rechtsprechung in seinem Schreiben auf und stützt sich maßgeblich auf den Begriff des Investitionsgutes bzw. Investitionsumsatzes. Durch Ergänzung des Umsatzsteueranwendungserlasses wird Folgendes geregelt (verkürzte Zusammenfassung; im Einzelfall können weitere Voraussetzungen zu beachten sein):

  • Ein zukünftiger Gesellschafter/eine Vorgründungsgesellschaft kann aus Eingangsleistungen, die er/sie in einem Akt auf die Gesellschaft überträgt, den Vorsteuerabzug ungeachtet dessen geltend machen, dass die Übertragung eine Geschäftsveräußerung ist – auch, wenn die Geschäftsveräußerung der einzige Umsatz ist. Maßgebend sind die beabsichtigten Umsätze der Gesellschaft.
  • Bei unentgeltlicher Übertragung kommt ein Vorsteuerabzug in Betracht, wenn aus Sicht der Gesellschaft ein Investitionsumsatz vorliegt und die beabsichtigte Tätigkeit der Gesellschaft den Vorsteuerabzug nicht ausschließt.
  • Unter Investitionsumsatz fallen dabei bezogene Lieferungen oder sonstige Leistungen, die der Gesellschafter (bzw. die Vorgründungsgesellschaft) tatsächlich an die Gesellschaft überträgt und die von dieser für wirtschaftliche Zwecke genutzt werden. Hiervon sind Eingangsleistungen abzugrenzen, die generell nicht an die Gesellschaft übertragen werden können (wie im BFH-Fall V R 8/15) oder die von der Gesellschaft genutzt, aber nicht tatsächlich an sie übertragen werden.
  • Das BMF-Schreiben ist in allen offenen Fällen anzuwenden.

Einordnung

Mit dem „Investitionsumsatz“ stützt das BMF sich (wie zuvor der BFH) auf einen Begriff, der vom EuGH zwar verwendet, jedoch nicht definiert wurde. Das BMF entfernt sich von der EuGH-Rechtsprechung, indem es den Vorsteuerabzug auch dann zulässt, wenn die Eingangsleistung unentgeltlich übertragen wird: Die unentgeltliche Übertragung ist eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit, bei der eine Zurechnung der Ausgangsumsätze der Gesellschaft nach dem „Malburg“-Urteil bereits aus diesem Grund nicht zulässig ist. Dass im „Malburg“-Fall der Mandantenstamm nicht in das Vermögen der Gesellschaft überging, war nicht das einzig entscheidende, sondern nur ein zusätzliches Argument für die Versagung des Vorsteuerabzugs neben der fehlenden Unternehmereigenschaft des Gesellschafters.

Gesellschafter und Vorgründungsgesellschaften, denen in vergleichbaren Konstellationen der Vorsteuerabzug versagt wurde oder die noch keinen Vorsteuerabzug geltend gemacht haben, sollten prüfen, ob dies basierend auf dem neuen BMF-Schreiben möglich ist.

(Stand: 13.05.2022)