Status quo umsatzsteuerlicher und zollrechtlicher Aspekte in Bezug auf den Brexit

21.12.2020 – Birgit Jürgensmann & Friederike von Borries
In einem bewegten Jahr 2020 gilt es nunmehr, sich mit Hochdruck dem Brexit zuzuwenden, der die Wirtschaft auf seine eigene Art und Weise treffen wird. Der im März 2017 eingereichte Antrag nach Art. 50 des Lissabonner EU-Vertrages zum Austritt des Vereinigten Königreichs (GB) aus der Europäischen Union (EU) bewirkte den offiziellen Austritt GBs zum 1. Februar 2020.

Um die Konsequenzen dieser Entscheidung auf beiden Seiten minimal zu halten, sah das Austrittsabkommen eine Übergangsphase vor, die zum 31. Dezember 2020 enden wird, wodurch GB ab dem 1. Januar 2021 nicht mehr Teil des Binnenmarktes und der Zollunion ist. Was dies für Sie als Wirtschaftsbeteiligte im umsatzsteuerlichen sowie zollrechtlichen Kontext bedeutet, werden wir entlang des ausgehenden sowie eingehenden Warenflusses erläutern. Es bleibt festzuhalten, dass trotz der bereits fortgeschrittenen Zeit weiterhin Unklarheiten auf Seiten GBs bezüglich der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Regelungen besteht; insbesondere das ‚Northern Ireland Protocol‘ hat für weitere Unsicherheiten gesorgt.

Ausgehender Warenfluss

Umsatzsteuerrechtlich

  • Grundsätzlich ist festzuhalten, dass alle Regelungen, die an den Status als EU-Mitgliedsland anknüpfen, künftig entfallen.
  • Unionszollkodex (UZK) und Mehrwertsteuersystem-Richtlinie sind nicht mehr anwendbar, die Rechtsprechung des EuGHs nicht mehr einschlägig.
  • Bei Warenlieferungen nach GB werden aus innergemeinschaftlichen Lieferungen (umsatzsteuerfreie) Ausfuhrlieferungen in das Drittlandsgebiet – mit anderen Beleganforderungen (z.B. Wegfall der Gelangensbestätigung). Darüber hinaus ist die Umsatzsteuer-Identifikationsnummern-Prüfung (Stichwort: qualifizierte Bestätigungsabfrage) nicht länger notwendig.
  • Auch bei Warenlieferungen an Privatkunden in der EU (sog. Versandhandelsregelung) sind aufgrund des Brexit Änderungen zu erwarten.
  • Dazu kommen die Neuregelungen, die sich daraus ergeben, dass mit Wirkung ab dem 1. Juli 2021 das EU-VAT E-Commerce Package (als Teil des EU-Actionplan on VAT) in das nationale Umsatzsteuerrecht implementiert werden müssen.
  • Für Dienstleistungen an in GB ansässige Unternehmen ist die Regelung des § 3a Abs. 2 UStG (die sogenannte Generalklausel) aus deutscher Sicht weiterhin anwendbar, d. h. der Leistungsort ist dort, wo der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt. Allerdings wird der Nachweis der Unternehmereigenschaft (für die Anwendbarkeit dieser Regelung) künftig mittels sog. „anderer“ Nachweise geführt werden müssen und nicht mehr über die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.
  • Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass viele Unternehmen diese Regelung nicht ernstnehmen, während die Finanzverwaltungen (gerade im Verhältnis zu in Drittlandsgebieten ansässigen Leistungsempfängern) darauf ihr Augenmerk legen. Zur Vermeidung von finanziellen Nachteilen sollten Unternehmen entsprechend Vorsorge treffen, um im Falle einer Beanstandung im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung oder einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung vorbereitet zu sein.
  • Warenlieferungen und Dienstleistungen an in GB ansässige Unternehmen sind nicht länger in der Zusammenfassenden Meldung zu erklären. Ebenso sind für Warenlieferungen bei Überschreiten der jeweiligen Meldeschwellen keine Intrastat-Meldungen abzugeben, sondern Extrastat-Meldungen.
  • Für Unternehmen, die Reiseleistungen erbringen und von der sog. Margenbesteuerung Gebrauch machen, ist der Ort der Leistung grundsätzlich zunächst weiterhin dort, wo der Reiseveranstalter sein Unternehmen betreibt, und die Leistung ist steuerbefreit, wenn Vorleistungen im Drittlandsgebiet erbracht werden. Da GB künftig zum Drittlandsgebiet gehören wird, käme es hier ebenfalls zu Änderungen der umsatzsteuerlichen Behandlung.
  • Bei den Güterbeförderungsleistungen ändern sich die Leistungsortbestimmungen und können Registrierungspflichten in GB begründen. Die Vereinfachungsregelung der innergemeinschaftlichen Beförderung von Gegenständen an Nicht-Unternehmer besagt, dass der Leistungsort dort ist, wo die Beförderung beginnt. Die jeweiligen Transportstrecken müssen somit nicht aufgeteilt werden. Künftig muss in diesen Fällen der Streckenteil aufgeteilt und entsprechend der jeweiligen Landesregelungen (hier: GB bzw. DE) umsatzbesteuert werden.

Zollrechtlich

Eine der einschlägigsten Änderungen bezieht sich auf die sogenannte EORI-Nummer (EORI-Nr.) - Economic Operators´ Registration and Identification number. Die EORI-Nr. ist die Grundvoraussetzung, um als Wirtschaftsbeteiligter in der EU am Zollgeschehen teilnehmen zu können. Daraus ergibt sich, dass die erteilten EORI-Nrn. in GB ihre Gültigkeit innerhalb der EU mit dem Jahreswechsel verlieren.

An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass mit dem Austritt aus der EU alle Waren, befindlich in GB, den Status Nicht-Unionswaren erhalten werden. Auch wenn sich am Status der sich innerhalb der EU befindlichen Waren nichts ändert, müssen alle Waren, die nach GB gebracht werden sollen, ab dem 1. Januar 2021 zur Ausfuhr angemeldet werden. Im Fall der Ausfuhr bietet das EU-Zollrecht mehrere Verfahren wie die Endgültige Ausfuhr, die Vorübergehende Ausfuhr oder aber die Wiederausfuhr. Momentan werden keine Ausfuhrzölle erhoben. Da mit dem Brexit GB als Drittstaat anzusehen ist, werden sinngemäß auch alle Verbote und Beschränkungen sowie nationale Bestimmungen des Außenwirtschaftsrechts gelten.

Eingehender Warenfluss

Umsatzsteuerrechtlich

  • Wareneinkäufe aus GB sind nicht länger als innergemeinschaftliche Erwerbe (die in aller Regel nicht zu einer Liquiditätsbelastung führen) zu erklären, sondern werden als Importe betrachtet, für die Einfuhrumsatzsteuer (und vorbehaltlich etwaiger Befreiungen und Vereinfachungen und in Abhängigkeit von dem jeweils eingeführten Produkt) grundsätzlich auch Zoll anfallen würde; vgl. weitere diesbezügliche Ausführungen.
  • Im Verhältnis zum künftigen Drittlandsgebiet GB könnte es zur Anwendung der sog. ‚Use & Enjoyment Rule‘ kommen. Wenn der leistende Unternehmer im Drittland (z.B. GB) ansässig ist und bestimmte Dienstleistungen an B2C-Kunden erbringt (u.a. auf elektronischem Weg erbrachte Leistungen), ist der Vorgang im Inland steuerbar, wenn die Leistung dort genutzt oder ausgewertet wird.
  • Bei Eingangsrechnungen von Lieferanten aus GB ist zu empfehlen, künftig genau zu prüfen, ob die dort ggf. ausgewiesene lokale Umsatzsteuer berechtigterweise aufgeführt ist und wie diese zurückerstattet werden kann.

Zollrechtlich

Wie auch bei der Ausfuhr müssen ab dem 1. Januar 2021 alle Warenlieferungen aus GB in die EU zollrechtlich abgefertigt werden. Wichtig ist zu verstehen, dass jede Einfuhr in die EU gleichzeitig eine Ausfuhr auf britischer Seite darstellt. Um in der EU frei über die Waren verfügen zu können, muss das Zollverfahren Überlassung zum freien Verkehr angestoßen werden. Im sogenannten Versandverfahren können Waren unverändert zwischen zwei im Zollgebiet der EU liegenden Orten befördert werden. Wenn Waren nur für einen bestimmten Zeitraum für die EU vorgesehen sind, kommt das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung in Betracht.

Ganz grundsätzlich werden bei der Einfuhr Zölle fällig, diese sind dem geltenden Zolltarif der EU zu entnehmen. Ferner müssen bei der Einfuhr auch die Einfuhrumsatzsteuer, Verbrauchssteuern sowie Verbote und Beschränkungen zollrechtlicher wie auch außenwirtschaftsrechtlicher Natur beachtet werden.

Fazit

Das Thema Brexit ist komplex – nicht nur fachlich, sondern gerade auch hinsichtlich der operativen Umsetzung in den Unternehmen! Die Unsicherheiten hinsichtlich eines möglichen Freihandelsabkommens und der übrigen umsatzsteuerlichen und zollrechtlichen Regelungen im Detail verlangen den Unternehmen eine Menge ab.

Zu den Belastungen in Bezug auf personelle Ressourcen kommen für viele Unternehmen auch finanzielle Aufwendungen, da sie ihre Kunden nicht mit etwaigen Mehrbelastungen durch Zoll und administrative Verpflichtungen belasten wollen.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das deutsche sowie das europäische Umsatzsteuer- und Zollrecht eine Reihe von Möglichkeiten bieten, die Auswirkungen des „harten“ Brexit abzufedern, wobei es offensichtlich ist, dass das Entstehen von Zollgrenzen zu einem unserer (künftig) früheren Mitgliedstaaten zu immensen Änderungen und gelegentlich auch Einschnitten im freien Warenverkehr führt.

Es bleibt abzuwarten, was die Verhandlungen zwischen der EU und GB, die am 2. März 2020 begannen und zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels noch andauern, ergeben und ob diese dann tatsächlich Vereinfachungen im Handel mit sich bringen.

Eines ist aber gewiss: auch mit Freihandelsabkommen wird GB am 1. Januar 2021 aus Sicht der EU den Status eines Drittlandes erlangen – mit entsprechenden Folgen aus umsatzsteuerlicher und zollrechtlicher Sicht. Zudem stände GB auch frei, Antidumpingzölle zu erheben, um ihre nationale Wirtschaft zu schützen.

Beitrag aus: Bulletin Online 2021 – Brexit Special | Dezember 2020 | British Chamber of Commerce in Germany