Sind ICOs die neue Zukunft für Start-ups?

10.10.2017 – In Investorenkreisen ist das Schlagwort „ICO“ zurzeit in aller Munde. Obwohl diese „Initial Coin Offerings“ entfernt mit IPOs („Initial Public Offerings“) verwandt sind – insofern, als dass beide die Zielsetzung haben, Unternehmen mit Kapital aus unterschiedlichen Quellen zu versorgen –, sind die Abläufe und die Mittel, mit denen sie das Kapital beschaffen, ganz unterschiedlich.

Bei einem ICO handelt es sich um eine Form der Kapitalbeschaffung, die auch als „Token Sales“ bekannt ist und sich besonders für Unternehmen in einem frühen Stadium eignet. ICOs basieren auf der Blockchain-Technologie und werden vor allem von zukunftsorientierten Unternehmern und risikobereiten Investoren bei Kryptowährungen dazu genutzt, auf möglicherweise bahnbrechende Ideen zu setzen. Diese zukünftigen Geschäftskonzepte werden durch künstliche Währungen bewertet, die theoretisch in Bezug auf zukünftiges Vermögen bemessen werden können – und damit lässt sich Geld verdienen. Es gibt nicht mehr als nur das Versprechen, dass das entsprechende Unternehmen eine nachhaltige Zukunft hat; Machbarkeitsstudien gibt es nicht. Trotzdem springen immer mehr Investoren auf den ICO-Zug auf, der dadurch zunehmend an Fahrt gewinnt.

Gnosis, die dezentrale Plattform für Prognosemärkte, sammelte in einem niederländischen Token-Angebot über 12,5 Millionen US-Dollar in nur 15 Minuten ein. Die Investoren stürzten sich geradezu auf die Gnosis-Tokens (im Wert von 250.000 Ether), womit das Projekt fast augenblicklich mit 300 Millionen US-Dollar bewertet wurde. Das Geld wurde nicht in ein Endprodukt investiert, sondern in eine Prognose, was ausreichte, um mit der Umsetzung des Plans zu beginnen.
So ist auch zu erklären, warum Technologie-Start-ups in diesem Jahr bereits über 1,3 Milliarden US-Dollar gesammelt haben, obwohl dieser Trend erst seit Kurzem an Dynamik gewinnt. Tatsächlich ist es bei einigen Angeboten vorgekommen, dass die Nachfrage die Anzahl der Tokens überstieg.

Die Mechanik

ICOs finden in einem immateriellen Netzwerk statt, in dem Geld in der Cloud geschaffen, ausgetauscht und gelöscht wird. Das liegt daran, dass ein ICO eigentlich eine Crowdfunding-Plattform für Start-ups in Kryptowährung ist; die bekannteste Kryptowährung ist der revolutionäre Bitcoin. Kryptowährungen sind nichts anderes als eine Anzahl von Einträgen in einer Datenbank in einem elektronischen Peer-to-Peer-Zahlungssystem, das dezentral gesteuert wird. Die Einträge für Transaktionen werden mithilfe der Blockchain-Technologie geschrieben und gespeichert; dabei werden Verschlüsselungsverfahren angewendet, um die Zahl der Geldeinheiten, die erstellt und übertragen werden, zu begrenzen. Im Gegensatz zu Waren oder Geld haben Kryptowährungen keinen Eigenwert, keine physische Form und ihre Geldmenge wird nicht von einer Zentralbank bestimmt. Es handelt sich lediglich um Transaktionen, die in einem Netzwerk Gleichgesinnter in der „Kryptowelt“ initiiert, akzeptiert, bestätigt und geteilt werden.

Ein Start-up, das sich für ein ICO interessiert, kann mit Protokollen wie Ethereum, Counterparty oder Openledger seine eigene Kryptowährung erstellen und einen Wert festlegen, der auf dem Betrag basiert, den ein Projekt einbringen muss, um die im Whitepaper vorgestellte Planung umsetzen zu können. Das Whitepaper ist wie eine Miniaturblaupause, die das Projekt vorstellt (worum es geht, welche Ziele verfolgt werden, die Meilensteine bis zum Abschluss, der benötigte Finanzierungsbetrag, die Kampagnendauer und die akzeptierte Geldart), und so dem Markt einen Ausblick bietet, der Interesse wecken soll. Personen in aller Welt können dann die neu erstellten Tokens mit etablierten Kryptowährungen wie Ether (ETH) oder Bitcoins (BTC) erwerben.

IInteressierte Investoren können Konten auf Börsenplattformen für digitale Währungen eröffnen und dort BTC und ETH gegen unterschiedliche Tokens für neue Projekte eintauschen. Die durchschnittliche Dauer eines ICOs liegt bei etwa einer Woche, in der der Preis des Tokens je nach der vom Aussteller festgelegten Struktur variiert. Beispielsweise kann der Preis stabil bleiben, um ein bestimmtes Ziel oder Finanzierungsziel für das Projekt zu erreichen. Allerdings können Aussteller auch das statische Angebot mit dynamischen Preisen ausgleichen, sodass der Preis für die Tokens im Zusammenhang mit der bereits erreichten Finanzierung steigt. Ein drittes Modell setzt auf einen statischen Preis mit einem dynamischen Angebot, z. B. wird für die Erstellung eines Tokens der Preis von 1 ETH festgesetzt. Dies läuft so lange, bis das Start-up sein Finanzierungsziel erreicht hat.

ICOs können mehrere Finanzierungsrunden haben, bei denen die angebotenen Tokens oder Coins im Wert steigen, je näher das Freigabedatum rückt. Damit wird ein Anreiz für Investoren geschaffen, so früh wie möglich zu investieren, um einen maximalen Ertrag zu erzielen.

Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die Tokens, anders als bei IPOs, den Investoren grundsätzlich keinerlei Eigentumsrechte oder Ansprüche auf Vermögenswerte einräumen. Stattdessen agieren sie als Inhaberpapiere, die den Nutzern Rechte am spezifischen Projekt selbst einräumen, nicht an dem Unternehmen, das das Projekt umsetzt. Obwohl der Besitz der Tokens kein Stimmrecht für die Richtung des Projektes beinhaltet, liegen solche Rechte im ICO selbst, bei dem die teilnehmenden Investoren im Laufe des Projektes Beiträge leisten. Für eine korrekte Prognose oder Inhalte, die während des Angebots eingereicht werden, können die Nutzer bezahlt werden. Investoren nehmen mit der Erwartung an diesen Aktivitäten teil, dass der Wert der Tokens für erfolgreiche Projekte dramatisch steigt und sie so höhere Erträge aus ihrem Investment erhalten.

Warum der Hype?

Zweifelsohne sind ICOs inzwischen sehr populär geworden, nicht nur bei Fintech-Start-ups, sondern in allen Bereichen. Sie erscheinen ideal für alle, die schnell Kapital für eine Idee beschaffen wollen. Dafür gibt es unterschiedlichste Gründe. Hauptsächlich ist es das Tempo, mit dem Kapital für ein Projekt gesammelt werden kann, das bisher nur eine Vision ist. Dies stellt einen Kontrast zu VC-Finanzierungen dar, bei denen die Investoren die Managementdynamik, Marktgröße, mögliche Risiken etc. deutlich genauer untersuchen. Außerdem besteht die Annahme, dass es sich um einen größtenteils unregulierten Bereich handelt, was die ICOs attraktiv erscheinen lässt, da die Anwendung bestehender Regeln und Compliancevorschriften meist noch offen ist. ICOs bieten ihren Ausstellern beispielsweise mehrere Runden der Finanzmittelbeschaffung an, mit wenigen (oder keinen) Vermittlern. Der Prozess wird noch attraktiver dadurch, dass es dank des technologischen Wachstums so leicht ist, Tokens einer Kryptowährung zu erstellen, in Transaktionen zu verwenden und auszutauschen. Aussteller müssen sich nicht länger mit komplexen Codes herumärgern, um diese Art der Finanzierung zu nutzen.

Aber nicht nur die Unternehmer profitieren. Auch Investoren nehmen aus verschiedenen Gründen gern an ICOs teil. Dazu gehört die Chance auf riesige Profite, wie bei den beträchtlichen Einkünften, die Start-ups mit Monero und NEM im Jahr 2016 erzielten. ICOs bieten zudem eine bessere Liquidität, die es so bei VC-Finanzierungen nicht gibt, da die Ausstiegsmöglichkeiten begrenzt sind. Hier können Profite leicht entnommen werden, indem die Kryptowährungen zunächst in Bitcoins oder Ether umgerechnet werden und anschließend in Geld. Plattformen wie Coinbase, Kraken, Poloniex und Yunbi ermöglichen es den Investoren, ihren digitalen Reichtum zu verkaufen und so schnelle Erträge aus Investments zu generieren, u. a., da die Preise im Tagesverlauf stark schwanken.

Im Juli 2017 konnte ein Fintech-Start-up in Thailand, Omise, mit seinem ICO 25 Millionen US-Dollar aufbringen. Das Unternehmen hatte bereits 20 Millionen US-Dollar aus traditionellen VC-Finanzierungen beschafft, bekam aber auch Kapital durch Tokens für sein Produkt Omise Go. Omise Go ist eine dezentrale Zahlungsplattform, über die Nutzer Geld bewegen können, ohne über ein Bankkonto zu verfügen oder Gebühren für Dienstleistungen und Auslandszahlungen zahlen zu müssen. Der Start von Omise Go ist für das 4. Quartal 2017 vorgesehen und die Besitzer der Tokens verdienen dadurch Geld, dass sie ein Teil des Netzwerkes sind.

Zukunftsaussichten

Der Markt für ICOs ist in den vergangenen Monaten exponentiell gewachsen. Das Risiko, dass dies nur eine weitere Blase wie der Dotcom-Crash im Jahr 2000 sein könnte, schürt Misstrauen. Insbesondere die Regulierungsbehörden sind der Ansicht, dass ein so offener Markt anfällig für extreme Schwankungen ist. Es handelt sich um einen sehr dynamischen Bereich, in dem jeden Tag unzählige Tokens erstellt und gelöscht werden. Eine zu große Nachfrage durch Investoren (aus Spekulationsgründen) könnte eine Krise herbeiführen. Die schnelle Entwicklung von ICOs als Finanzierungsquelle ist spannend, aber der Beweis für die Nachhaltigkeit von ICOs und Kryptowährungen als Ganzes steht noch aus.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat in einer Veröffentlichung virtuelle Währungen wie Bitcoin als Rechnungseinheiten gemäß § 1 Absatz 11 Satz 1 Kreditwesengesetz (KWG) qualifiziert, sodass diese als Finanzinstrumente anzusehen sind, unabhängig von der dahinterliegenden Software oder Verschlüsselungsmethode. Die Emission von Tokens im Rahmen eines ICO wird daher voraussichtlich ebenfalls als virtuelle Währung zu bewerten sein.
Je nach Verwendung virtueller Währungen oder Ausgestaltung eines ICO können insbesondere das Kreditwesengesetz (KWG), das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) sowie ggf. auch das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) anwendbar sein, sodass möglicherweise die Erlaubnis der BaFin für das jeweilige Geschäft erforderlich ist und/oder bestimmte Dokumentationsanforderungen (z. B. Veröffentlichung eines Prospekts) zu erfüllen sind. Ein Nichtbefolgen etwaiger einschlägiger Regulierungsvorschriften kann strafbewehrt sein oder zu Bußgeldern, Verboten durch die BaFin oder zu Schadenersatzansprüchen führen.

Dokument

Initial Coin Offerings