Wie Daten die Zustellung auf der letzten Meile verändern

Die „letzte Meile“ ist der schwierigste, komplizierteste und am stärksten umkämpfte Abschnitt bei Paketlieferungen bis an die Haustür. Um die Herausforderungen steigender Paketaufkommen, höherer Kundenerwartungen und des Rufs nach weniger Emissionen zu meistern, experimentieren Logistikunternehmen mit Daten, Drohnen und neuen Geschäftsmodellen.

Als „letzte Meile“ wird der letzte Abschnitt der Lieferkette bezeichnet, in dem das Paket vom Verteilerzentrum zur Haustür der Kundschaft gebracht wird. Das ist auch letztlich der wichtigste Abschnitt der Zustellung, denn hier entsteht ein bleibender Eindruck: wird ein Paket rechtzeitig und in makellosem Zustand geliefert, ist die Kundschaft wahrscheinlich zufrieden. Dabei ist es unerheblich, wie reibungslos oder schwierig die vorherigen, weniger sichtbaren Stationen verlaufen sind.

„Die Menschen erinnern sich nur daran, dass die Lieferung schnell und zuverlässig war“, erklärt Francisco Sanchez, Partner bei Mazars. „Für Einzelhändler, die einen Großteil ihrer Umsätze online machen, sind Logistikdienstleister der verlängerte Arm ihrer Marke.“

Deshalb verursacht dieser Abschnitt auch einen hohen Anteil der Kosten für sowohl die Marke als auch ihre Lieferpartner – in manchen Fällen über 50 Prozent. „Und das in einer Branche, in der die Margen oft nur 2 bis 5 Prozent betragen“, fügt Kevin Le Denic, Partner bei Mazars, hinzu. „Es ist daher entscheidend – aber schwierig –, auf der letzten Meile alles richtig zu machen.“ Drei Herausforderungen sind dabei besonders hervorzuheben.

Große Erwartungen

Erstens sind die Erwartungen der Kund*innen höher denn je – und sie steigen weiter. Sie erwarten, dass ihre Pakete in einwandfreiem Zustand und pünktlich ankommen. Sie wollen, dass die Lieferung schnell und günstig, oder gar gratis, ist.  Sendungsverfolgung in Echtzeit sowie ein zuvorkommender Kundenservice natürlich inklusive. „Mein Rat an Unternehmen, die Bestellungen annehmen, lautet: Sprechen Sie mit Ihren Logistik-Teams und erkundigen Sie sich, was möglich ist“, erklärt Sanchez.

Viele Kund*innen möchten die bestellten Waren auch innerhalb von 24 Stunden oder noch am selben Tag erhalten. Dieses geänderte Kundenverhalten führt zu kleinteiligeren Lieferungen, was für zusätzliche Komplikationen sorgt.

Zweitens stehen Logistikunternehmen unter Druck, ihre Umweltbelastungen zu reduzieren. „Die letzte Meile betrifft in der Regel bereits stark frequentierte Orte“, erklärt Le Denic. „Einige Städte versuchen mit politischen Maßnahmen Emissionssenkungen zu erreichen, zum Beispiel durch Durchfahrtsbeschränkungen für Frachtfahrzeuge ab einer gewissen Größe, einem bestimmten Gewicht oder bestimmten Emissionswerten – oder mit der Festlegung von Zeitfenstern, in denen solche Fahrzeuge liefern dürfen.“ Unterschiedliche Regeln in verschiedenen Städten erschweren es noch mehr, die Erwartungen der Kundschaft zu erfüllen.

Drittens nimmt die Anzahl der Lieferungen zu. Verstädterung und die Corona-Pandemie sind hier die treibenden Faktoren. In Großbritannien, Frankreich und Deutschland ist im April 2020 der Anteil der Menschen, die mehr als die Hälfte ihrer Einkäufe online erledigen, um bis zu 80 Prozent gestiegen. Acht von zehn Konsument*innen wollen dieses Verhalten auch nach der Pandemie beibehalten. Der 2020 gestiegene Druck auf die Zustellbranche dürfte sich in ein dauerhaftes Wachstum wandeln.

Diese neue Nachfrage bedeutet auch mehr Rücknahmelogistik: „Je mehr Lieferungen, desto mehr Retouren“, erklärt Remco Schoonderwoerd, Partner bei Mazars. „Das setzt Unternehmen unter Druck, nicht nur dafür zu sorgen, dass sie das höhere Aufkommen an Rücksendungen bewältigen können, sondern auch dafür, dass sie schon beim ersten Mal alles richtig machen, um die Kosten niedrig zu halten.“

Logistikunternehmen reagieren darauf mit einem Konkurrenzkampf um aussagekräftigere Kundendaten und die cleverste Auswertung für die Praxis.

Aus Daten einen Vorteil gewinnen

Daten sind das Herzstück, um die Zustellung auf der letzten Meile umzugestalten. Unternehmen nutzen sie zunehmend, um sowohl bestehende Prozesse zu verbessern als auch weiter Kosten zu senken. Marc Engel, Partner bei Mazars, merkt dazu an: „Wenn ein Unternehmen präzise Daten über seine Kundschaft besitzt, dann kann es seine Servicekosten vielfältig und leichter kontrollieren.“

Weniger Zustellversuche – „Wenn Sie Daten darüber besitzen, wann Kunden zu Hause sind, steigen die Chancen, dass die Zustellung beim ersten Versuch klappt“, erklärt Engel, und fügt hinzu: „Das Unternehmen weiß vielleicht, dass bei einer Zustellung am Montag ein bestimmter Kunde die Hinterlegung des Pakets an der Haustür wünscht. Wenn jedoch am Wochenende zugestellt wird, dann sollte geläutet werden usw.“

Optimierte Routenplanung – Daten helfen dabei, die Transportrouten für Pakete zu optimieren. Schließlich bestimmen viele Variablen eine effiziente Routenplanung: zum Beispiel Verkehrsdaten, der Standort des nächstgelegenen Fahrers, das Transportmittel und seine Kapazität sowie das Gewicht der Lieferung. „Die Entwicklung von Algorithmen, die all diese Faktoren berücksichtigen, ist unerlässlich“, ist Le Denic überzeugt.

Datenaustausch in Echtzeit – Echtzeitdaten nutzen zu können ist ebenfalls ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Dadurch sind Unternehmen in der Lage dank minutenaktueller und straßengenauer Wetterdaten, Ankunftszeiten genau abzuschätzen. Uber hat angekündigt mit der Wetter-API-Plattform Climacell zusammenzuarbeiten, um ortsbezogene Wetterinformationen zu nutzen und so Ankunftszeiten noch präziser vorherzusagen. Logistikunternehmen werden wahrscheinlich nachziehen.

Kundenkommunikation – Daten können auch die Kommunikation zwischen Lieferanten und ihren Kund*innen erleichtern. Nutzt ein Unternehmen hier alle Kanäle, kann es seinen Kund*innen unter anderem anbieten, ein Paket auf der letzten Meile umzuleiten, um Wiederholungsfahrten zu vermeiden. Zudem helfen Daten, dem Kundenverhalten zuvorzukommen. „In Zukunft kann eine genaue Vorhersage von Käufen dazu beitragen, die Pakete näher an die Kundschaft zu bringen, bevor diese überhaupt bestellt“, fügt Le Denic hinzu. „Das kann Vorlaufzeiten verkürzen.“

Neue Liefermodelle

Neue Transportarten sind eine weitere Möglichkeit, um auf diese Disruptionen in der Logistikbranche zu reagieren. So führte im Jahr 2015 die Gemischtwaren-Ladenkette 7-Eleven in Kooperation mit dem Drohnenbetreiber Flirty in den USA eine Drohnenlieferung durch – einige andere starteten ebenfalls Pilotprojekte.

Mittlerweile hat Amazon von der US-Luftfahrtbehörde FAA die Genehmigung für Drohnenlieferungen erhalten. Der Online-Händler kann nach eigenen Angaben Artikel bis zu 2,3 Kilogramm Gewicht über eine Strecke von 25 Kilometern per Drohne ausliefern. Ford, Walmart und der Lieferdienst Postmates planen auch, Lebensmitteleinkäufe mit selbstfahrenden Fahrzeugen zuzustellen.

Als Reaktion darauf erwartet Schoonderwoerd, dass sich das Liefergeschäftsmodell in eine von zwei Richtungen verschieben wird. Den einen Weg gehen Unternehmen wie Amazon, die ihre eigene Lieferlogistik immer weiter ausbauen: „Es gibt einen Trend, dass Großunternehmen in den Aufbau eigener Kapazitäten investieren, wodurch mittelgroße Konkurrenten verdrängt werden. Dieser Trend hält wahrscheinlich an“, sagt Schoonderwoerd.

Ein alternativer Weg besteht darin, die letzte Meile durch einen öffentlichen Versorgungsbetrieb zu bedienen. Durch immer mehr Onlineshopping nehmen auch die Zustellungen an der Haustür zu. Deshalb müssen Lieferunternehmen ihren Service skalieren – und produzieren damit unnötige Emissionen. In der Folge könnten Regierungen, Staaten und lokale Behörden die Verantwortung für die letzte Liefermeile übernehmen. Auf diesem Wege würde der Verkehr entzerrt und Emissionen reduziert. „Ich wäre nicht überrascht, wenn die letzte Meile schlussendlich in vielen Städten als öffentliche Dienstleistung erfolgt“, meint Schoonderwoerd. „Dabei könnten Pakete von führerlosen Lieferwagen zugestellt werden, die einen bei ihrer Ankunft ‚anpingen‘. Man würde dann die Tür öffnen und das Paket selbst herausnehmen.“

Die logistische Organisation der letzten Meile gewinnt immer mehr an Bedeutung. Kund*innen erwarten herausragenden Service bei kurzen Lieferzeiten, während die Politik nachhaltige Lösungen sucht. Dies soll Unternehmen dazu anregen, Verschiedenes auszuprobieren, um Emissionen, Fehler und Wartezeiten zu reduzieren. Wir stehen am Anfang einer neuen, von Konkurrenzdruck und Daten getriebenen, Ära der Zustellung auf der letzten Meile.

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