Kürzere Verjährungsfristen für die Abrechnung stationärer Leistungen durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz

20.12.2018 – Am 9.11.2018 hat der Bundestag das Pflegepersonal-Stärkungs- Gesetz (PpSG) verabschiedet, am 23.11.2018 hat das PpSG auch den Bundesrat passiert. Für die Abrechnung stationärer Leistungen enthält das Gesetz bedeutsame Vorgaben. Die Genese der schließlich Gesetz gewordenen Verjährungsregelungen war dabei bemerkenswert, die Folgen drastisch bis ungewiss.
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Gesetzgeberische Handlungsmotivation

Bekanntlich hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit seinen Entscheidungen zur Transportentfernung im Zusammenhang mit der neurologischen Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls (Urteile vom 19.6.2018 – B 1 KR 38/17 R und B 1 KR 39/17 R) bestätigt, dass die Kodierung des ICD-Codes OPS 8-98b (OPS 2019 8-981) die Verlegbarkeit eines Patienten innerhalb von 30 Minuten (von Verlegungsentscheidung bis Übergabe) voraussetze, und damit den Kostenträgern ein reichhaltiges Rückforderungspotenzial erschlossen.

Angesichts der breiten Ablehnung dieser Entscheidungen in den betroffenen Fachkreisen („Gefährdung der Versorgung von Schlaganfallpatienten“) sah sich der Gesetzgeber offensichtlich in der Pflicht, die Folgen der erwarteten Rückforderungswelle abzumildern und plante deshalb die Durchsetzung entsprechender Forderungen durch eine Verkürzung der bis dato geltenden Verjährungsfrist zu beschränken.

Mehrfache Verschärfung des Verjährungsregimes

In ungewöhnlich schneller Abfolge wurden die geplanten Regelungen mehrfach und im Ergebnis einseitig zulasten der Kostenträgerseite verschärft.

Weder der ursprüngliche Gesetzesentwurf des PpSG des Bundesrates vom 10.8.2018 noch derjenige der Bundesregierung vom 24.9.2018 enthielten überhaupt Regelungen zur Krankenhausabrechnung. Erstmals mit Änderungsantrag der Regierungskoalition vom 5.10.2018 war die – im Interesse der „Vermeidung der durch Rückforderungsansprüche hervorgerufenen Rechtsunsicherheit“: rückwirkende – Verkürzung der im Sozialrecht geltenden vierjährigen Verjährungsfrist auf beidseitig zwei Jahre vorgesehen. Darüber hinaus sollte das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) über entsprechende Ergänzungen der §§ 295 und 301 SGB V auch zur rückwirkenden Klarstellung der Auslegung von Diagnose- und Prozedurenschlüsseln ermächtigt werden. Damit sollten erkennbar Wege eröffnet werden, die umstrittene Rechtsprechung des 1. Senates des BSG entkräften zu können.

Diese geplanten Änderungen stießen weder auf Leistungserbringer- noch auf Kostenträgerseite auf Zustimmung. Während die Krankenkassen die Verkürzung der Verjährungsfrist als unverhältnismäßig ablehnten, befürchteten die Krankenhausträger den Verlust noch offener Forderungen aus den Jahren 2014 und 2015.

Letztlich haben sich die Interessen der Krankenhausträger durchgesetzt. Die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses vom 7.11.2018 für die bereits für den 9.11.2018 vorgesehene zweite und dritte Beratung enthielt schließlich die grundsätzliche Verkürzung der Verjährungsfrist von vier auf zwei Jahre. Darüber hinaus wurde nicht nur eine zusätzliche einseitig rückwirkende Verjährungsverkürzung für Rückforderungsansprüche der Krankenkassen vorgesehen, sondern auch noch eine unerwartet knapp bemessene Ausschlussfrist für deren Geltendmachung. Damit gilt nun Folgendes:

  • Ansprüche der Krankenhäuser auf Vergütung erbrachter Leistungen und Ansprüche der Krankenkassen auf Rückzahlung von geleisteten Vergütungen verjähren beginnend ab dem 1.1.2019 grundsätzlich in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind (Aussage § 109 Abs. 5 Satz 1 in der Fassung des PpSG).
  • Ansprüche der Krankenkassen auf Rückzahlung von geleisteten Vergütungen verjähren zudem auch innerhalb von zwei Jahren, wenn sie vor dem 1.1.2019 entstanden sind und nicht bis zum 9.11.2018 gerichtlich geltend gemacht wurden (Aussage § 109 Abs. 5 Satz 2 in Verbindung mit § 325 SGB V in der Fassung des PpSG).
  • Für Ansprüche der Krankenhäuser auf Vergütung erbrachter Leistungen, die vor dem 1.1.2019 entstanden sind, gilt weiterhin die vierjährige Verjährungsfrist (Aussage § 109 Abs. 5 Satz 3 § 325 SGB V in der Fassung des PpSG).
  • Das DIMDI kann rückwirkend Klarstellungen für Auslegungsregelungen für Diagnose- und Prozedurenschlüssel erlassen (Aussage §§ 295 Abs. 1 und 301 Abs. 2 SGB V in der Fassung des PpSG). Der Bundesrat hat in einer Entschließung zum PpSG die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert, „auf das DIMDI einzuwirken, unverzüglich, jedenfalls noch im Jahr 2018, die rückwirkende Klarstellung der Formulierung im OPS 8-98b vorzunehmen“. Eine entsprechende Klarstellung hat das DIMDI am 3.12.2018 veröffentlicht.

Abrechnung stationärer Leistungen durch Krankenhaus

(Leistung entstanden und abgerechnet jeweils zwischen 1.1. und 31.12. des Jahres)

ABRECHNUNG STATIONÄRER LEISTUNGEN DURCH KRANKENHAUS

Praktische Auswirkungen

Die einseitig rückwirkende Verjährungsverkürzung hat zu einem sprungartigen Anstieg des Verfahrensaufkommens mit Ablauf des Stichtages 9.11.2018 an den Sozialgerichten geführt (für Hessen wird z. B. von einer Verfünffachung des Monatsdurchschnittes berichtet). Bundesweit wird von ca. 200.000 Verfahren mit einem Gesamtvolumen im mittleren dreistelligen Millionenbereich ausgegangen (Stand: 23.11.2018). Die Sozialgerichtsbarkeit wird damit vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Aufgrund absehbarer personaler Engpässe wird bereits eine angemessene Bearbeitung bezweifelt.

Abgesehen davon, dass mit dieser „Prozesslawine“ – mit entsprechendem Kostenaufwand – (weiterhin) personelle Ressourcen der Akteure im Gesundheitswesen gebunden werden, können unangemessen lange Gerichtsverfahren grundsätzlich auch Entschädigungsansprüche gemäß § 198 GVG auslösen. § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG nimmt Träger öffentlicher Gewalt als potenziell Geschädigte vom Anwendungsbereich nur insoweit ausdrücklich aus, als „diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind“.

Lösung in Sicht?

Insofern verwundert es nicht, dass sich Bund und Länder nicht einmal einen Monat nach Inkrafttreten des PpSG in das Gespräch mit Kassen- und Klinikvertretern zur Erörterung von Lösungsmöglichkeiten vermittelnd eingeschaltet haben. Am 6.12.2018 ist eine gemeinsame Erklärung des Bundesministeriums für Gesundheit, des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der AOK Bundesverband GbR, des vdek e. V., des BKK Dachverbandes e. V., des IKK e. V., der Knappschaft und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau zum Umgang mit den anhängig gemachten Klageverfahren veröffentlicht worden. Die relevante Passage lautet wie folgt:

„Zur Herstellung von Rechtsfrieden und Planungssicherheit sowie zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit empfehlen die oben genannten Parteien als Kompromiss gemeinsam den Krankenkassen zu prüfen, ob bis zum 9. November 2018 eingeleitete Klageverfahren auf Rückzahlung von an Krankenhäuser geleisteten Vergütungen bei Abrechnung der Komplexkodes OPS 8-98b (Schlaganfall) und OPS 8-550.1 (Geriatrische Erkrankungen) beendet, beziehungsweise Forderungen, gegen die aufgerechnet worden ist, anerkannt werden können. Dies sollte der Fall sein, wenn die Qualitätsanforderungen bei Zugrundelegung der am 3. Dezember 2018 veröffentlichten Klarstellungen des DIMDI zu den genannten Komplexkodes erfüllt wurden. Die Beendigung eines Klageverfahrens sollte dabei grundsätzlich durch Klagerücknahme erfolgen. Die DKG empfiehlt den Krankenhäusern, ab sofort keine weiteren kostenwirksamen Maßnahmen zur Bearbeitung der Klagen und Aufrechnungen zu veranlassen. Auf die Geltendmachung eigener Kosten zur Bearbeitung der Klagen und Aufrechnungen sollten die Vertragspartner vor Ort (Krankenhaus und Krankenkasse) verzichten.“

Aus der Empfehlung ergibt sich – inzident – auch, dass sich die Gesetzesänderung nicht nur auf die Vergütung für Fallpauschalen bezieht, sondern wohl auch auf andere Vergütungstatbestände. Die Beteiligten empfehlen nämlich hinsichtlich der Rückforderung von Mehrwertsteuerzahlungen nach Zytostatika-Behandlung, dass diese Verfahren bis zu einer höchstrichterlichen Klärung (vgl. die beim BSG anhängigen Revisionen B 1 KR 5/18 R; B 3 KR 1/18 R und B 3 KR 6/17 R) ruhend gestellt werden sollten.

Autor

Norman Langhoff, LL.M.
Tel: +49 30 208 88-1430
norman.langhoff@mazars.de

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 2-2018. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen  Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.