Zuordnungsentscheidung bei gemischt genutzten Investitionsgütern - EuGH-Urteile "E" und "Z" (C-45/20 und C-46/20)

Im Jahr 2019 hatte der BFH dem EuGH zwei Fälle zur Vorabentscheidung vorgelegt, bei denen es um die Ausübung des Wahlrechts ging, Investitionsgüter dem Unternehmen zuzuordnen und somit insoweit den Vorsteuerabzug geltend zu machen. In Deutschland muss diese Zurodnung dem Finanzamt bisher innerhalb der regulären Frist zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung mitgeteilt werden. Der BFH hatte Zweifel, ob dies unionsrechtskonform sei. Der EuGH (14. Oktober 2021, C-45/20 und C-46/20) bestätigte im Ergebnis die grundsätzliche Zulässigkeit einer Frist, überließ es jedoch dem BFH zu entscheiden, ob die Länge der konkreten Frist verhältnismäßig sei.

Die Kläger machten in zu spät abgegebenen USt-Erklärungen erstmals Vorsteuern geltend

Der BFH hat dem EuGH zwei ähnlich gelagerte Sachverhalte vorgelegt: In einem Fall hatte eine Privatperson eine Photovoltaikanlage errichten lassen. Den erzeugten Strom nutzte sie teilweise selbst, teilweise speiste sie ihn gegen eine Vergütung ins öffentliche Stromnetz ein und wurde dadurch unternehmerisch tätig. In dem anderen Fall hatte sich ein Architekt ein Einfamilienhaus errichten lassen, in dem laut Bauplan ein Arbeitszimmer vorgesehen war. Beide Kläger hatten in den Umsatzsteuervoranmeldungen hinsichtlich der bei der Errichtung der Photovoltaikanlage bzw. des Einfamilienhauses angefallenen Kosten keine Vorsteuern geltend gemacht. Sie gaben ihre Umsatzsteuererklärungen erst nach Ablauf der in den Streitjahren geltenden Frist (31. Mai des Folgejahres) ab und machten hierin erstmals entsprechende Vorsteuern geltend, weil sie die Photovoltaikanlage bzw. das Einfamilienhaus teilweise ihrem Unternehmen zuordnen wollten. Die zuständigen Finanzämter und auch die angerufenen Finanzgerichte lehnten den Vorsteuerabzug mit der Begründung ab, die Kläger hätten ihre Entscheidung, die Photovoltaikanlage bzw. das Einfamilienhaus (teilweise) ihrem Unternehmen zuzuordnen, dem Finanzamt spätestens bis zum 31. Mai des Folgejahres mitteilen müssen. Dabei beriefen sie sich auf die ständige BFH-Rechtsprechung. Die Kläger legten Revision beim BFH ein.

Bisherige BFH-Rechtsprechung und Zweifel an ihrer Unionsrechtskonformität

Der BFH geht davon aus, dass die Entscheidung, einen Gegenstand dem Unternehmen zuzuordnen, schon bei Anschaffung/Herstellung des Gegenstands zu treffen sei. Da es sich bei der Entscheidung um eine sog. „innere Tatsache“ handele (das Finanzamt kann dem Steuerpflichtigen nicht in den Kopf schauen), müsse die Entscheidung nach außen irgendwie erkennbar sein. Gibt es keine Beweisanzeichen für die Zuordnung zum Unternehmen, dürfe diese nicht unterstellt werden. Die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs könne insofern ein gewichtiges Indiz für die Zuordnung sein. Aus Gründen der Praktikabilität ging der BFH aber bislang davon aus, dass die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung durch die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs innerhalb der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuererklärung erfolgen müsse.

Die Zweifel des BFH an seiner bisherigen Rechtsprechung beruhen vor allem auf dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Gmina Ryjewo (C-140/17, 25. Juli 2018). Der EuGH hatte es in diesem Fall für unschädlich gehalten, dass eine Gemeinde ihre Absicht, eine erworbene Immobilie unternehmerisch zu nutzen, nicht ausdrücklich bekundet hatte. Der BFH erkennt darüber hinaus eine Regelungslücke im EU-Recht, da Artikel 168a Abs. 1 MwStSystRL zwar eine Zuordnung zum Unternehmen verlangt, aber keine Regelung hinsichtlich der Art und des Zeitpunkts der Dokumentation enthält.

EuGH: Zuordnungsentscheidung muss nicht ausdrücklich bekundet werden

Der EuGH arbeitete zunächst den Unterschied zwischen materiellen und formellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug heraus: Seien materielle Voraussetzungen nicht erfüllt, bestehe kein Recht auf Vorsteuerabzug, bei Fehlen formeller Voraussetzungen gelte dies nicht ohne Weiteres. Will der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug geltend machen, müsse er beim Erwerb bzw. bei der Herstellung der betreffenden Gegenstände „als Steuerpflichtiger handeln“ – in die Sprache des deutschen Rechts übertragen also den Gegenstand seinem Unternehmen zuordnen. Diese Wahl sei demnach eine materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug. Entsprechend seiner Entscheidung in der Rechtssache Gmina Ryjewo könne die Absicht auch implizit, d. h. ohne eindeutige und ausdrückliche Bekundung, zum Ausdruck kommen. Dass bei dem Architekten im Bauplan ein Arbeitszimmer ausgewiesen sei und dass in dem Fall betreffend die Photovoltaikanlage ein Einspeisevertrag über den Weiterverkauf des erzeugten Stroms geschlossen wurde, könne ein solches Indiz sein. Entscheiden müsse dies jedoch der BFH. Allein die Tatsache, dass die Kläger in den Umsatzsteuervoranmeldungen noch keinen Vorsteuerabzug geltend gemacht haben, lasse jedenfalls nicht den Schluss zu, sie hätten die Gegenstände nicht ihrem Unternehmen zugeordnet.

Mitgliedstaaten dürfen für die Mitteilung der Zuordnungsentscheidung eine Frist setzen

Der EuGH stellt klar, dass die Vornahme der Zuordnungsentscheidung zwar eine materielle, die Mitteilung dieser Zuordnungsentscheidung an das Finanzamt jedoch nur eine formelle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug sei. Ein formeller Mangel darf nach ständiger EuGH-Rechtsprechung nur dann zum Verlust des Vorsteuerabzugs führen, wenn er den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden. Für den EuGH ist nicht ersichtlich, dass die Fristversäumnis hier den sicheren Nachweis verhindert, dass die Kläger im Zeitpunkt des Erwerbs eine Zuordnungsentscheidung getroffen haben – auch dies müsse aber der BFH prüfen.

Auf der anderen Seite stehe jedoch fest, dass das Recht auf Vorsteuerabzug zeitlich nicht unbegrenzt ausgeübt werden könne – dies folge aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Eine Ausschlussfrist wie die vom BFH entwickelte sei demnach nicht grundsätzlich mit dem Unionsrecht unvereinbar, wenn sie für alle gleichermaßen gelte und den Vorsteuerabzug nicht praktisch unmöglich mache – was der EuGH hier nicht als problematisch erachtet. Die Frist müsse aber zudem im Hinblick auf das Ziel der Rechtssicherheit verhältnismäßig sein. Dies bedeute, dass die Frist geeignet sein muss, gegen einen nachlässigen Steuerpflichtigen Sanktionen zu verhängen, und dabei den Neutralitätsgrundsatz möglichst wenig beeinträchtigt. Ob dies der Fall ist, sei wiederum vom BFH selbst zu prüfen.

Fazit: Viele Fragen offen

Der EuGH stellt klar, dass eine Zuordnungsentscheidung nicht ausdrücklich bekundet werden muss, sondern sich auch aus den Umständen ergeben kann. Welche Umstände dies sind und wie sie zu bewerten sind, wird aber auch in Zukunft immer eine Frage des Einzelfalls bleiben, sodass sich aus der Rechtsprechung hier kein klarer Leitfaden ergibt.

Mitgliedstaaten dürfen grundsätzlich die Mitteilung der Zuordnungsentscheidung von der Einhaltung einer Frist abhängig machen. Ob die Frist bis zum 31. Mai des Folgejahres allerdings lang genug ist, entscheidet der EuGH nicht und lässt der deutschen Finanzgerichtsbarkeit damit einen erheblichen Ermessensspielraum. Dass die Rechtsprechung die Frist an die gesetzliche Abgabefrist für die Umsatzsteuererklärung knüpft und diese inzwischen erheblich länger ist als in den Vorlagefällen (i. d. R. bis Ende Februar des zweiten Folgejahres), dürfte für aktuelle Fälle bei der Frage der Verhältnismäßigkeit ebenfalls eine Rolle spielen.

Wegen der verbliebenen Unsicherheiten sollten Steuerpflichtige, wo immer es geht, ihre Zuordnungsentscheidung dokumentieren und dem Finanzamt spätestens mit der fristgemäß abgegebenen Umsatzsteuererklärung zur Kenntnis bringen. In Fällen, in denen dies unterblieben ist und das Finanzamt dies beanstandet, kann mit der hier besprochenen EuGH-Rechtsprechung argumentiert werden; sie eröffnet einen weiten Spielraum, Umstände des konkreten Einzelfalls ins Feld zu führen.

(Stand: 02.11.2021)