Mehrwertsteuerausschuss veröffentlicht Arbeitspapier zu Tankkarten

Mit seinem Urteil in der Rechtssache „Vega International“ (C-235/18, 15. Mai 2019) hatte der EuGH das Tankkartengeschäft in den Grundfesten erschüttert: Umsatzsteuerlich sollten die Tankkartenemittenten nicht mehr Kraftstoff ein- und verkaufen, sondern Finanzierungsleistungen erbringen. Das BMF sah sich dadurch zunächst veranlasst, den Entwurf eines Schreibens in Umlauf zu bringen, demnach das Reihen-Liefergeschäft ab dem 1. Januar 2022 zum Ausnahmefall erklärt werden sollte. Als bekannt wurde, dass sich der Mehrwertsteuerausschuss auf EU-Ebene mit der Frage befassen will, machte die Behörde einen Rückzieher, um im Sinne einer EU-einheitlichen Handhabung das Ergebnis abzuwarten. Am 21. Oktober 2022 hat der Mehrwertsteuerausschuss hierzu ein Arbeitspapier (Nr. 1046) veröffentlicht.

Ausgangspunkt: Verfügungsmacht

Der Vorteil von Tankkarten liegt darin, dass Unternehmen mit einer großen Fahrzeugflotte nicht jede Tankquittung einzeln verbuchen und zum Vorsteuerabzug heranziehen müssen, sondern vom Tankkartenemittenten in der Regel monatlich eine Rechnung bekommen. Umsatzsteuerliche Voraussetzung für diese Vorgehensweise ist ein Reihen-Liefergeschäft, bei dem die Tankstelle/das Mineralölunternehmen den Kraftstoff an den Tankkartenemittenten und der Tankkartenemittent an den Kunden liefert.

Damit umsatzsteuerlich von einer Lieferung ausgegangen werden kann, muss der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger die Möglichkeit verschaffen, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen. Im Fall „Vega“ hatte der EuGH herausgearbeitet, eine Lieferung der Tankstelle/des Mineralölunternehmens an den Tankkartenemittenten liege nicht vor, weil allein der Kunde (und nicht der Tankkartenemittent) nach eigenem Ermessen tanke und dabei frei unter anderem über Qualität, Menge und Art des Kraftstoffs sowie Ort und Zeit der Lieferung entscheide. Einzelheiten dazu und zu der entwurfsmäßigen Umsetzung dieser Rechtsprechung durch das BMF finden Sie hier.

Arbeitspapier des Mehrwertsteuerausschusses: Buy-Sell-Geschäft vs. Kommissionsgeschäft

Im ersten Schritt hat die Mehrwertsteuer-Expertengruppe eruiert, dass in der Tankkartenbranche zwei Geschäftsmodelle vorherrschend sind: das Buy-Sell-Geschäft und das Kommissionsgeschäft. Diese beiden Geschäftsmodelle hat der Mehrwertsteuerausschuss sodann diskutiert – mit unterschiedlichen Ergebnissen:

Buy-Sell-Geschäft

Die Tankkarte hat hier typischerweise keine Bezahlfunktion. Sie dient lediglich dazu, gegenüber der Tankstelle/dem Mineralölunternehmen zu belegen, dass der Karteninhaber im Namen eines bestimmten Kartenemittenten auftreten darf und dass die Lieferung des Kraftstoffs an den Kartenemittenten erfolgen soll – basierend auf einem entsprechenden Vertrag zwischen Kartenemittent und Tankstelle/Mineralölunternehmen.

Auf dieses Modell ist nach Auffassung des Mehrwertsteuerausschusses die Argumentation aus dem Fall „Vega“ übertragbar: Nicht der Kartenemittent kann wie ein Eigentümer über den Kraftstoff verfügen, sondern der Karteninhaber. Somit soll hier kein Reihen-Liefergeschäft vorliegen, sondern eine Lieferung von Kraftstoff von der Tankstelle/dem Mineralölunternehmen an den Karteninhaber und eine (ggf. steuerfreie) Finanzierungsdienstleistung vom Kartenemittenten an den Karteninhaber.

Kommissionsgeschäft

Hier vereinbaren Kartenemittent und Karteninhaber, dass der Kartenemittent als Einkaufskommissionär für den Karteninhaber auftritt, den Kraftstoff also im eigenen Namen, aber für Rechnung des Karteninhabers kauft. Der Kartenemittent verhandelt die Konditionen für die Kraftstofflieferung mit der Tankstelle/dem Mineralölunternehmen und gibt Rabatte an den Karteninhaber weiter oder legt sie zumindest offen. In der Regel monatlich stellt der Kartenemittent Rechnungen aus, die üblicherweise sofort mittels Bankeinzug bezahlt werden.

Für diese Fallkonstellation erachtet der Mehrwertsteuerausschuss es als entscheidend, dass das MwSt-Recht für Kommissionsgeschäfte eine Lieferfiktion vorsieht (in Deutschland geregelt in § 3 Abs. 3 UStG). In Kommissionsfällen soll es demnach nach Auffassung des Mehrwertsteuerausschusses bei der gewohnten Handhabung eines Reihen-Liefergeschäfts bleiben.

Einordnung im Vergleich zum Entwurf des BMF-Schreibens

Das Kommissionsgeschäft als mögliches Abgrenzungskriterium hatte das BMF offenbar nicht vor Augen. Die Behörde hat vielmehr sehr sorgfältig die Kriterien durchkonjugiert, die nach der „Vega“-Rechtsprechung gegen ein Reihen-Liefergeschäft sprechen. Da diese Kriterien in der Praxis in aller Regel vorliegen und die vom BMF genannten Ausnahmekonstellationen eher realitätsfern waren, wäre nach diesem Entwurf das Reihen-Liefergeschäft im Tankkartensektor im Grunde gestorben.

Der Mehrwertsteuerausschuss eröffnet hier eine sehr interessante Möglichkeit, den Status quo beizubehalten, die sich allerdings vor allem deshalb bisher nicht gerade aufgedrängt hat, weil der Aspekt eines möglichen Kommissionsgeschäfts hier atypisch ist: Bei einer typischen Einkaufskommission tritt der Kommissionär dem Verkäufer im eigenen Namen gegenüber, während der eigentliche Kaufinteressent (der Kommittent) im Hintergrund die Bedingungen diktiert. Im Tankkartengeschäft steht aber der eigentliche Kaufinteressent am Zapfhahn und entscheidet, wie viel und zu welchem Preis er tankt, während der Kommissionär (der Kartenemittent) gerade nicht in Erscheinung tritt. Von der äußerlichen Erscheinung ist dies ein untypisches Kommissionsgeschäft – aber die Bedingungen sind gleichwohl erfüllt, da der Kartenemittent im eigenen Namen, aber für Rechnung des Karteninhabers auftritt.

Schwierig bleibt bei dem Lösungsweg des Mehrwertsteuerausschusses die Abgrenzung zwischen einem Buy-Sell- und einem Kommissionsgeschäft. Der Unterschied liegt generell darin, dass bei einem Kommissionsgeschäft der Kommissionär (hier also der Kartenemittent) kein wirtschaftliches Risiko trägt, weil er immer den jeweiligen Kaufpreis vom Kommittenten (hier: dem Karteninhaber) erstattet bekommt. Da dies bei Tankkartengeschäften immer der Fall ist, spricht viel dafür, das Kommissionsgeschäft nach dem Konzept des Mehrwertsteuerausschusses als Regelfall anzusehen.

Wie geht es weiter?

Der Mehrwertsteuerausschuss ist nach Art. 398 MwStSystRL ein rein beratendes Gremium, das die koordinierte Anwendung der Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie fördern soll. Dies geschieht durch sog. Leitlinien, die allerdings nicht rechtsverbindlich sind. Für die deutsche Finanzverwaltung hat das BMF dies mit Schreiben vom 3. Januar 2014 klargestellt: Das BMF bezieht die Leitlinien in die Bildung seiner Verwaltungsauffassung mit ein, ist daran aber nicht gebunden. Da das BMF das Schreiben zum Thema Tankkarten explizit mit der Begründung zurückgehalten hat, die Entscheidung des Mehrwertsteuerausschusses abzuwarten, ist damit zu rechnen, dass die Auffassung des Ausschusses für das BMF eine große Rolle spielen wird. Allerdings liegt derzeit noch keine offizielle Leitlinie vor, sondern lediglich ein Arbeitspapier, zu dem die Delegierten des Mehrwertsteuerausschusses, also Vertreter aus den Mitgliedstaaten und aus der Europäischen Kommission, noch Stellung nehmen werden.

Für die Tankkartenbranche ist die Rechtslage also noch immer unklar. Sicher wird auch das BMF die offizielle Leitlinie abwarten, bevor es ein neues Schreiben entwirft. Der Mehrwertsteuerausschuss wird hoffentlich auch der Bitte der Mehrwertsteuerexpertengruppe nachkommen, eine einheitliche Leitlinie herauszugeben, die auch das Laden von E-Autos mit einer Tankkarte umfasst, weil in der Branche bereits hybride Tankkarten im Einsatz sind. Wer die Chance erhöhen will, dass sein Tankkartenmodell auch in Zukunft als Reihen-Liefergeschäft akzeptiert wird, kann bereits jetzt die entsprechenden Verträge daraufhin prüfen, ob sie im Sinne eines Kommissionsgeschäfts umgestaltet/optimiert werden können. Soweit es praktisch möglich ist, wäre es auch kein Fehler, das Geschäftsmodell so anzupassen, dass nach den Kriterien des BMF-Entwurfs ausnahmsweise davon ausgegangen werden kann, dass dem Kartenemittenten Verfügungsmacht an dem Kraftstoff übertragen wird. Eine Empfehlung für eine garantiert rechtssichere Gestaltung ist derzeit aber nicht möglich.

07. November 2022