Reverse-Charge-Verfahren auch dann, wenn nur einer von mehreren Leistungsempfängern Unternehmer ist - BFH-Urteil V R 7/20

In seinem Urteil vom 10. Dezember 2020 (V R 7/20), veröffentlicht am 20. Mai 2021, entschied der BFH: Das Reverse-Charge-Verfahren ist auch dann anwendbar, wenn von mehreren Empfängern derselben Leistung nur einer ein Unternehmer ist. Die Herausforderung bestand im entschiedenen Fall zunächst darin, zu bestimmen, ob tatsächlich zwei Personen oder ob eine Gesellschaft Leistungsempfänger waren/war. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, hier bereits bei der Vertragsgestaltung sauber zu arbeiten.

Unklare vertragliche Beziehungen

Ein Ehepaar wollte auf einem Grundstück im Inland ein Einfamilienhaus errichten lassen. Mit den hierfür notwendigen Holzbauarbeiten wurde ein österreichischer Unternehmer beauftragt. Wer im zivilrechtlichen, und damit auch umsatzsteuerlichen Sinne, Empfänger dieser Werklieferung sein sollte, war nach den Umständen nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Im Vertrag war der Ehemann als Auftraggeber genannt, das zugehörige Leistungsverzeichnis bezeichnete dagegen die Ehegatten als Bauherren. Die Baugenehmigung lautete auf Ehemann und Ehefrau, wobei das Grundstück im Alleineigentum des Ehemannes stand. Der Ehegatte war als Einzelkaufmann Unternehmer, die Ehefrau jedoch nicht. Der österreichische Unternehmer stellte zunächst Rechnungen an die Ehegatten mit Umsatzsteuer aus. Später stornierte er diese jedoch und stellte eine geänderte Rechnung ohne Umsatzsteuer mit Hinweis auf das Reverse-Charge-Verfahren aus – nur an den Ehemann.

Das Finanzamt betrachtete den Ehemann als Leistungsempfänger und setzte Umsatzsteuer aus einem Reverse-Charge-Eingangsumsatz gegen ihn fest, weil er Unternehmer war. Den Vorsteuerabzug hieraus gewährte das Finanzamt dem Ehemann nicht, weil das Einfamilienhaus rein privaten Zwecken diente.

Leistungsempfänger sind beide Ehegatten

Das Finanzgericht hatte in 1. Instanz zur Frage des Leistungsempfängers festgestellt, dies seien sowohl der Ehemann als auch die Ehefrau. Sie seien beide berechtigt gewesen, die Leistung von dem österreichischen Unternehmer zu fordern und schuldeten das Entgelt als Gesamtschuldner. Vor dem BFH trug der Ehemann jedoch vor, seine Frau habe eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gebildet, die Leistungsempfängerin gewesen sei. Das Finanzgericht hätte für die Anwendbarkeit des Reverse-Charge-Verfahrens untersuchen müssen, ob diese Ehegatten-GbR Unternehmerin gewesen sei. Der BFH verwies insoweit allerdings darauf, dass eine GbR i.S.d. § 705 BGB die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks durch die Gesellschafter voraussetzt. Daran fehle es im vorliegenden Fall, sodass eine GbR als Leistungsempfängerin ausscheide. Jedenfalls der Ehemann sei nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis Leistungsempfänger gewesen.

Reverse Charge ist in diesem Fall anwendbar

Ob daneben auch die Ehefrau Leistungsempfängerin war, ist nach Auffassung des BGH unerheblich und nicht zu entscheiden. Der Wortlaut des § 13b Abs. 5 S. 1 UStG lasse es zu, das Reverse-Charge-Verfahren auch dann anzuwenden, wenn neben einem Unternehmer eine weitere Person Leistungsempfänger sei – zumindest dann, wenn der Unternehmer Schuldner des vollen Entgelts sei. Diese Auslegung vermeide nicht nur Unklarheiten bei der Gesetzesauslegung, sondern auch Umgehungsmöglichkeiten. Der BFH verwies ergänzend darauf, dass Art. 194 MwStSysRL (der Regelung zur „Bestimmung abweichender Steuerschuldner“) den Mitgliedstaaten ein Regelungsermessen einräume und folgte damit dem Argument des Finanzgericht in der Vorinstanz.

Empfehlung: Auf eindeutige Vertragsgestaltung achten

Die Schwierigkeiten dieses Falles bestanden vor allem darin, dass weder das (potenziell) gesellschaftsrechtliche Verhältnis zwischen den Ehegatten, noch die Parteien des Werkvertrags eindeutig geregelt waren. Dass eine bloße Gemeinschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit nicht Leistungsempfänger sein kann, hatte der EuGH bereits mit Urteil vom 21. April 2005 (C-25/03) geklärt – der BFH ist dem gefolgt (Urteil vom 6. Oktober 2005, V R 40/01). Bei Beteiligung mehrerer Personen auf Auftraggeberseite sollte daher sorgfältig darauf geachtet werden, ob die Gründung einer Gesellschaft möglich und gewollt ist. Damit später keine Unklarheiten entstehen, wer der umsatzsteuerliche Leistungsempfänger ist, sollte eindeutig geregelt werden, wer aus dem Vertrag berechtigt und verpflichtet sein soll.

Dass das Reverse-Charge-Verfahren auch dann anwendbar ist, wenn nur einer von mehreren Leistungsempfängern Unternehmer ist, ist in der MwStSystRL nicht klar geregelt. Der BFH betrachtet dies als Teil des Regelungsermessens der Mitgliedstaaten. Ob der EuGH dies ebenso sieht, ist noch nicht entschieden, und auch die Behandlung solcher Fälle durch andere Mitgliedstaaten kann hiervon abweichen.

Wenn einer der Auftraggeber Unternehmer ist, sollte bedacht werden, dass das Reverse-Charge-Verfahren i.d.R. gem. § 13b Abs. 5 S. 7 UStG UStG (aktuelle Fassung) auch dann greift, wenn der Leistungsgegenstand nicht für den unternehmerischen Bereich bezogen wird, dann aber kein Vorsteuerabzug besteht – wie in dem entschiedenen Fall des privaten Einfamilienhauses (damals noch § 13b Abs. 5 S. 3 UStG). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass nach dem EuGH-Urteil vom 21. April 2005 (C-25/03) und, diesem folgend, dem BFH-Urteil vom 6. Oktober 2005 (V R 40/01), ein teilweiser Vorsteuerabzug in Betracht kommt, falls einer der Ehegatten den erworbenen Gegenstand teilweise unternehmerisch nutzt.  

Stand: 26.05.2021