Steuerfestsetzung für die Organgesellschaft kann Drittwirkung für den Organträger entfalten - BFH-Urteil V R 13/20

Mit Urteil vom 26. August 2021, veröffentlicht am 7. Oktober 2021 (V R 13/20), hat der Bundesfinanzhof (BFH) alle Register der Abgabenordnung gezogen und klargestellt, dass sich innerhalb einer umsatzsteuerlichen Organschaft Organträger und Organgesellschaften nicht unterschiedlich auf neue bzw. alte Rechtsprechung berufen können - eine Steuerfestsetzung kann Drittwirkung entfalten.

Der Organträger wollte Vorsteuern von Organgesellschaften geltend machen, die von diesen nicht mehr zurückgefordert werden konnten.

Der Kläger war als Einzelunternehmer alleiniger Kommanditist und Geschäftsführer verschiedener Kommanditgesellschaften (KGs). Der Kläger und die KGs gaben getrennte Umsatzsteuererklärungen ab, bei denen sich für die Streitjahre teilweise Vorsteuerüberhänge ergaben. Nachdem der BFH durch seine geänderte Rechtsprechung auch Personenhandelsgesellschaften als Organgesellschaften anerkannt hatte, machte der Kläger geltend, er sei Organträger der KGs – was vom Finanzamt auch anerkannt wurde. Er beantragte daher die Änderung seiner Steuerfestsetzungen und machte als Organträger auch den Vorsteuerüberhang der KGs geltend. Dies lehnte das Finanzamt jedoch ab, da die Steuerfestsetzungen der KGs bereits festsetzungsverjährt und daher nicht mehr änderbar waren. Eine Änderung beim Kläger hätte dazu geführt, dass der Vorsteuerüberhang im Ergebnis zweimal gewährt worden wäre.

Organträger muss Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung der Organgesellschaften gegen sich gelten lassen.

Der BFH lehnte die Änderung der Steuerfestsetzungen des Klägers ab und begründete dies im Wesentlichen mit § 166 AO: Ist demnach die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, hat dies auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter anzufechten.

Die KGs seien trotz ihrer Eigenschaft als unselbstständige Organgesellschaften Steuerpflichtige, weil gegen sie (wenn auch zu Unrecht) Steuerbescheide erlassen wurden. Deshalb können sich Organträger und Organgesellschaft insoweit als Dritte gegenüberstehen. Da der Kläger als alleiniger Kommanditist und Geschäftsführer die Steuerbescheide der KGs hätte anfechten können, dies jedoch unterlassen hat, muss er die Unanfechtbarkeit gegen sich gelten lassen – mit der Folge, dass auch seine Steuerfestsetzung nicht mehr geändert werden und er den Vorsteuerüberhang der KGs nicht geltend machen kann.

Der BFH ging auch auf die Vertrauensschutzregel des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO ein. Demnach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung des BFH geändert hat. Der BFH stellte klar, dass es dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspräche, wenn in einem Fall wie dem vorliegenden der Organträger die neue Rechtsprechung anwendet, die Organgesellschaften sich jedoch auf Vertrauensschutz berufen. Konkret: Dass der Organträger nach der neuen Rechtsprechung den Vorsteuerüberhang für sich geltend macht und die Organgesellschaften den Vorsteuerüberhang nach der alten Rechtsprechung behalten, wäre ein unbilliges Ergebnis.

Empfehlung

Der BFH erteilt hier dem „Rosinenpicken“ eine Absage, bei dem sich Mitglieder einer Organschaft umsatzsteuerlich unterschiedlich behandeln lassen wollen. Dieser Fall weist aber diverse abgabenordnungsrechtliche Finessen auf – nicht auf alle kann hier eingegangen werden. Die Absage an das „Rosinenpicken“ sollte daher nicht vorschnell verallgemeinert werden – vergleichbare Fälle bedürfen einer sorgfältigen Prüfung, für die sich die Einholung steuerrechtlicher Beratung dringend empfiehlt.

(Stand: 09.11.2021)