EuGH entscheidet über die deutschen Vorlagen zur umsatzsteuerlichen Organschaft

Der „Big Bang“ ist ausgeblieben, aber es sind Fragen offen

Beide Umsatzsteuersenate hatten dem EuGH elementare Fragen zur Organschaft vorgelegt. Ob die deutsche Systematik, nach der nicht eine Mehrwertsteuergruppe, sondern der Organträger der Steuerpflichtige ist, mit EU-Recht vereinbar sei, hat den BFH dabei am meisten umgetrieben. Nachdem die Generalanwältin die Schlussanträge gestellt hatte, verdüsterte sich die Stimmung in Fachkreisen noch weiter: Sie stellte die These auf, Innenleistungen seien steuerbar (wir berichteten hier). Dem schloss sich der EuGH zum Glück nicht an.

Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH (C-141/20)

Der XI. Senat des BFH legte den Fall „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH“ (C-141/20) vor, bei dem der potenzielle Organträger zwar mit 51 % die Anteilsmehrheit an der potenziellen Organgesellschaft hielt, aber nicht über die Mehrheit der Stimmrechte verfügte.

Der EuGH entschied zunächst, es sei mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn nach deutschem Recht nicht eine Mehrwertsteuergruppe, sondern der Organträger Steuerpflichtiger sei – weil der Organträger dieselben Umsätze melde, die auch eine Mehrwertsteuergruppe zu melden hätte und dies im Endeffekt auf dasselbe hinauslaufe. Dies dürfte für große Erleichterung sorgen. Einschränkend formuliert der EuGH, dass diese deutsche Regelung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen darf. Die Reichweite dieser Einschränkung bleibt unklar, zumal Organschaften mit nicht (voll) zum Vorsteuerabzug berechtigten Organgesellschaften die Regel sind.

Zum anderen sei Bedingung, dass der Organträger seinen Willen bei den Organgesellschaften durchsetzen kann. Fraglich erscheint, in welchem Verhältnis diese Bedingung zur zweiten Antwort des EuGH steht: Demnach sei die deutsche Regelung, nach der die finanzielle Eingliederung nicht nur die Beteiligungsmehrheit, sondern auch die Stimmrechtsmehrheit erfordert, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Fehlt die Stimmrechtsmehrheit, so kann der Organträger seinen Willen aber gerade nicht durchsetzen – was genau der Grund dafür ist, dass in Deutschland bislang die Stimmrechtsmehrheit gefordert war.

Der EuGH entschied außerdem, dass es Mitgliedstaaten nicht gestattet sei, Einheiten im Wege der Typisierung als nicht selbstständig anzusehen, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in einen Organträger eingegliedert sind. Dieser sehr abstrakte Aspekt bezieht sich auf eine Art „Exit Szenario“ des XI. Senats, denn die entsprechende Vorlagefrage wurde offenbar für den Fall gestellt, dass die deutschen Organschaftsregeln nicht mit dem Unionsrecht vereinbar seien: Der XI. Senat wollte geklärt wissen, ob die Organgesellschaften dann jedenfalls wegen der fehlenden Selbstständigkeit im Organträger aufgehen, was zu vergleichbaren Ergebnissen führen würde, wie eine „echte“ Organschaft. Da der EuGH die deutsche Regelung, nach der der Organträger Steuerpflichtiger ist, vom Grundsatz her billigt, scheint dieser Aspekt aber nicht mehr zum Tragen zu kommen.

Ob Innenleistungen steuerbar seien, wie es die Generalanwältin postuliert hat, hatte der BFH nicht gefragt. Wohl aus diesem Grund hat sich der EuGH auf die knappe Feststellung beschränkt, die MwStSystRL schließe es aus, „…dass Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe (…) innerhalb und außerhalb ihrer Gruppe weiterhin als Steuerpflichtige angesehen werden (…)“. Die These der Generalanwältin dürfte damit vom Tisch sein.

Finanzamt T gegen S (C-269/20)

Im Fall des V. Senats (C-269/20) ging es um eine Stiftung als potenzielle Organträgerin, die einen hoheitlichen und einen unternehmerisch tätigen Bereich hatte. Die potenzielle Organgesellschaft erbrachte Reinigungsleistungen sowohl für den hoheitlichen, als auch für den unternehmerischen Bereich der Stiftung. Hier ergab sich gegenüber dem Fall des XI. Senats zusätzlich die Frage, ob innerhalb einer Organschaft „Leistungen“ vom unternehmerischen in den hoheitlichen Bereich eine unentgeltliche Wertabgabe auslösen. Dies verneinte der EuGH.

Auch in diesem Fall entschied der EuGH, dass das deutsche Modell, nach dem nur der Organträger und nicht eine Mehrwertsteuergruppe Steuerpflichtiger sei, mit dem EU-Recht vereinbar ist – ebenfalls mit den oben thematisierten Einschränkungen.

Wie geht es weiter?

Die beiden EuGH-Entscheidungen werden noch für viel Diskussionsstoff sorgen. Über den Stand der Debatte und Handlungsempfehlungen im Umgang damit halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.

In jedem Fall empfiehlt sich eine sorgfältige Prüfung, ob, vielleicht auch ungewollt, in Ihrem Unternehmen eine Organschaft vorliegt, oder ob die Voraussetzungen möglicherweise unbemerkt entfallen sind. Hier können Sie sich über unseren Organschafts-Deep Dive informieren, der insoweit Klarheit schafft.

02. Dezember 2022