Flucht ins Vergütungsverfahren für ausländische Vermieter? - EuGH-Urteil "Titanium Ltd" (C-931/19)

Ist die vorsorgliche Flucht in das Vorsteuervergütungsverfahren für ausländische Vermietungsunternehmen eine Lösung? In seinem Urteil vom 3. Juni 2021 (C-931/19) in der Rechtssache „Titanium“ entschied der EuGH: Eine vermietete Immobilie ist für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens keine Betriebsstätte, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt (wir berichteten). Damit entfällt für Viele die Möglichkeit zur umsatzsteuerlichen Registrierung und Verrechnung von Vorsteuern über die Umsatzsteuervoranmeldung. Die Finanzverwaltung sieht dies bislang noch anders. Wie sollten Unternehmen mit dieser Unsicherheit umgehen?

In seinem Urteil vom 3. Juni 2021 (C-931/19) in der Rechtssache „Titanium“ entschied der EuGH: Eine vermietete Immobilie ist für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens keine Betriebsstätte, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt (wir berichteten). Damit entfällt für Viele die Möglichkeit zur umsatzsteuerlichen Registrierung und Verrechnung von Vorsteuern über die Umsatzsteuervoranmeldung. Die Finanzverwaltung sieht dies bislang noch anders. Wie sollten Unternehmen mit dieser Unsicherheit umgehen?

Was bedeutet das EuGH-Urteil für ausländische Vermieter mit Immobilien in Deutschland?

Die deutsche Finanzverwaltung behandelt nach Abschn. 13b.11 Abs. 2 S. 2 UStAE nicht in Deutschland ansässige Unternehmer, die ein im Inland gelegenes Grundstück vermieten, bei der Frage der Anwendbarkeit des Reverse-Charge-Verfahrens stets als im Inland ansässig. Damit müssen (und dürfen) sich diese Vermietungsunternehmen in Deutschland umsatzsteuerlich registrieren lassen. Das hat den Vorteil, dass sie deutsche Vorsteuern aus Eingangsumsätzen über die regulären Umsatzsteuervoranmeldungen verrechnen können und sich das langwierige Vorsteuervergütungsverfahren ersparen.

Der Umsatzsteueranwendungserlass dürfte insoweit vor dem Hintergrund des „Titanium“-Urteils nicht mehr haltbar sein. Dies bedeutet, dass ausländische Vermietungsunternehmen, die in Deutschland nur steuerpflichtig vermieten, das Reverse-Charge-Verfahren anwenden müssen und keine Pflicht und keine Berechtigung zur umsatzsteuerlichen Registrierung haben. Damit können auch die Vorsteuern nicht mehr im Veranlagungsverfahren geltend gemacht werden. Es ist daher denkbar, dass das zuständige Finanzamt mit Blick auf das „Titanium“-Urteil den Vorsteuerabzug versagt und die ausländischen Immobilienunternehmen insoweit auf das Vorsteuervergütungsverfahren verweist. Dieses ist aber bekanntlich an strenge Fristen gebunden: Vorsteuern aus dem Jahr 2020 müssen für EU-ansässige Unternehmen bis zum 30. September 2021 geltend gemacht werden. Vorsteuern aus früheren Zeiträumen werden nicht mehr erstattet. Für nicht in der EU ansässige Unternehmen ist die Antragsfrist für 2020 bereits am 30. Juni 2021 abgelaufen.

Wer ist nicht betroffen?

Dieses Problem betrifft nur ausländische Vermietungsunternehmen, die ausschließlich steuerpflichtig vermieten. Wird daneben auch steuerfrei vermietet, greift für diese Umsätze das Reverse-Charge-Verfahren nicht, sodass für die steuerfreien Umsätze die Pflicht (und das Recht) zur umsatzsteuerlichen Registrierung in Deutschland fortbesteht. Damit können auch deutsche Vorsteuern weiter über die Umsatzsteuervoranmeldungen verrechnet werden.

Was wird jetzt voraussichtlich passieren?

Wir gehen davon aus, dass die Finanzverwaltung sich die EuGH-Entscheidung zu eigen machen wird. Sie dürfte aber kein Interesse daran haben, dass alle ausländischen Immobilienunternehmen alle bereits abgegebenen, noch nicht festsetzungsverjährten Umsatzsteuererklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen ändern. Auch das ohnehin chronisch überlastete Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) wird von einer Flut von Vergütungsanträgen von ausländischen Vermietungsunternehmen nicht begeistert sein. Darüber hinaus sind die Vorsteuern des Vermietungsunternehmens natürlich nicht das einzige Problem: Die ausländischen Vermietungsunternehmen würden auch massenhaft Mietrechnungen korrigieren und neu ohne Umsatzsteuer, aber mit einem Hinweis auf das Reverse-Charge-Verfahren ausstellen. Die bislang ausgewiesene Umsatzsteuer wäre unberechtigt ausgewiesen i. S. d. § 14c Abs. 1 UStG und müsste in der Voranmeldung der Rechnungskorrektur wieder abgezogen werden. Als Reflex müssten auch die Mieter ihre Umsatzsteuererklärungen und -voranmeldungen korrigieren.

Dass Vorsteuern ohne „Wissen-Können“ der Unternehmen im falschen Verfahren (über die Umsatzsteuervoranmeldung) geltend gemacht wurden, im Vorsteuervergütungsverfahren aber größtenteils verfristet wären, begegnet aus unserer Sicht auch rechtsstaatlichen Bedenken. Deshalb rechnen wir mit einer entsprechenden Übergangs-/Nichtbeanstandungsregelung des BMF, nach der es nicht beanstandet wird, wenn sich ausländische Vermietungsunternehmen bis zu einem bestimmten Datum noch nach der bisherigen Fassung des Umsatzsteueranwendungserlasses verhalten.

Wie kann man mit der Unsicherheit umgehen?

Nach unseren Informationen aus dem BMF wird das Titanium-Urteil gerade mit den obersten Finanzbehörden der Länder erörtert. Dies lässt neben den oben dargestellten Erwägungen erwarten, dass es ein BMF-Schreiben mit einer Übergangsregelung geben wird. Sicher ist dies allerdings nicht.

Wer sich darauf nicht verlassen möchte, sollte die deutschen Vorsteuern sicherheitshalber sowohl in der Umsatzsteuer-Voranmeldung als auch in einem Vorsteuervergütungsantrag geltend machen, soweit dies noch fristgerecht möglich ist. Obwohl die ausländischen Vermietungsunternehmen wegen des Steuerausweises in den Mietrechnungen in Deutschland Umsatzsteuer nach § 14c UStG schulden, sind sie vom Vorsteuervergütungsverfahren nicht ausgeschlossen, § 18 Abs. 9 S. 3 UStG.

Dadurch kann vermieden werden, dass Vorsteuern endgültig verfallen, falls es wider Erwarten keine Übergangsregelung geben wird. Für EU-ansässige Unternehmen ist ein Vergütungsantrag für Vorsteuern aus 2020 noch bis zum 30. September 2021 möglich. Für Drittländer ist das Jahr 2020 bereits verfristet. Für Vorsteuern aus 2021 ist für sie noch bis zum 30. Juni 2022 Zeit für einen Vergütungsantrag – insoweit kann sicherlich noch abgewartet werden, wie sich das BMF positioniert.

Um den Vorwurf der doppelten Geltendmachung von Vorsteuern zu vermeiden, sollten sowohl das zuständige Finanzamt als auch das BZSt darauf hingewiesen werden, dass der Vorsteuervergütungsantrag nur vorsorglich mit Blick auf die unsichere Rechtslage gestellt wurde.

(Stand: 20.09.2021)