BAG-Urteil zur Leitung „großer Stationen“

19.06.2020 – Der vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat mit Urteil vom 13.5.2020 der Heranziehung einer starren Anzahl unterstellter Beschäftigter bzgl. der Bewertung der Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppen der Leitenden Beschäftigten in der Pflege gem. TVöD/VKA – konkret bzgl. der Annahme der Leitung einer „großen Station“ eines Krankenhauses i. S. d. P 13 TVöD/VKA – eine klare Absage erteilt (BAG, Urteil vom 13.5.2020, 4 AZR 173/19).

In dem Fall, der der Entscheidung des BAG zugrunde lag, begehrt die Klägerin, eine Stationsleiterin, die bei der Beklagten, einem Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts, beschäftigt ist, für die Zeit ab 1.1.2017 eine höhere Vergütung nach EG P 13 der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (TVöD) im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber verbände (VKA). Die Klägerin ist in einer Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Beklagten als Stationsleitung der Stationen Soziotherapie und Schizophrenie tätig und wurde bislang nach EG P 12 der Anlage 1, Teil B Abschnitt XI 2 zum TVöD/VKA vergütet.

Eine „große Station“ i. S. d. Tätigkeitsmerkmals des TVöD/VKA liegt regelmäßig vor, wenn der Stationsleitung mehr als  12 Vollzeitkräfte fachlich unterstellt sind. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann bei einer solchen Anzahl unterstellter Beschäftigter das Tarifmerkmal „große Station“ verneint werden. Umgekehrt leitet eine Stationsleitung bei einer geringeren Anzahl unterstellter Vollzeitbeschäftigter regelmäßig keine „große Station“. Ausnahmen kommen in Betracht, wenn sich die Station ihrer Struktur nach aus anderen Gründen als „groß“ im Tarifsinn darstellt (vgl. BAG-Pressemitteilung Nr. 13/20).

Der Klägerin sind nach den Annahmen der Vorinstanzen nicht mehr als 12 Vollzeitbeschäftigte unterstellt. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht München (LAG München, Urteil vom 10.4.2019, 11 Sa 798/18) haben die Klage abgewiesen.

Hingegen hatte die Revision der Klägerin vor dem BAG Erfolg. Die Begründung des LAG für eine Klageabweisung reichte dem BAG nicht aus, da es bei der tariflichen Unterscheidung zwischen einer Station und einer „großen Station“ keine feste Grenze einer bestimmten Anzahl von unterstellten Beschäftigten gäbe. Zwar handele es sich regelmäßig um eine „große Station“, wenn der Stationsleitung umgerechnet mehr als 12 Vollzeitkräfte im Sinne der Vorbemerkung Nr. 9 zur Anlage 1 Entgeltordnung zum TVöD/VKA fachlich unterstellt seien. Da Teilzeitbeschäftigte nach dieser Vorbemerkung entsprechend dem Verhältnis ihrer Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zu berücksichtigen seien, sei dies ab 12,01 Vollzeitäquivalenten der Fall. Mangels eines starren Grenzwerts („in der Regel“) kann bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall auch bei umgerechnet mehr als 12 unterstellten Vollzeitbeschäftigten das Tarifmerkmal „große Station“ verneint werden. Gleiches gelte aber auch im umgekehrten Fall: Trotz nicht mehr als 12 unterstellten Vollzeitkräften komme die Annahme einer großen Station im Einzelfall gleichwohl in Betracht, wenn sich die Station aus anderen Gründen, beispielsweise aufgrund

  • einer hohen Anzahl unterstellter Teilzeitbeschäftigter,
  • einer großen Anzahl von zu pflegenden Patienten oder
  • aufgrund der räumlichen Lage und Größe

als „groß“ im Tarifsinn darstelle.

Für eine abschließende Beurteilung, ob die Station trotz Unterstellung von nicht mehr als 12 Vollzeitbeschäftigten aufgrund anderer Umstände ausnahmsweise als große Station im Tarifsinn anzusehen ist, reichten dem Senat die Feststellungen zu den tatsächlichen Gegebenheiten in der Klinik der Beklagten nicht aus. Zudem bedürfe es der Klärung, ob die Klägerin bei der von ihr auszuübenden Tätigkeit ein höheres Maß von Verantwortlichkeit i. S. d. EG P 13 TVöD/VKA trägt. Die Sache wurde daher an das LAG München zurückverwiesen.

Hinweise/Fazit

Nach den Auslegungshilfen der Vorbemerkungen zu den Tätigkeitsmerkmalen für „Leitende Beschäftigte in der Pflege“ legen die Tarifvertragsparteien der „Station“ folgende regelmäßige Organisationsstruktur zu Grunde:

„...

b) Die Station ist die kleinste organisatorische Einheit. Einer Stationsleitung sind in der Regel nicht mehr als zwölf Beschäftigte unterstellt.

… Die Beschäftigten müssen fachlich unterstellt sein.“

Der Entgeltgruppe P 13 unterfallen:

„Beschäftigte als Stationsleiterinnen oder Stationsleiter mit einem höheren Maß von Verantwortlichkeit oder von großen Stationen.“

Die Eingruppierung der Leitungskräfte in der Pflege hat in der zum 1.1.2017 in Kraft getretenen EntgO (VKA) eine umfassende Neuordnung erfahren. Der Arbeitgeberseite ging es bei der Neugestaltung insbesondere darum, mehr Flexibilität zu erhalten, um den unterschiedlichen Gegebenheiten und notwendigen Strukturanpassungen hinreichend Rechnung tragen zu können. Es bestand Einvernehmen bei den Tarifparteien, dass die Unterstellungsverhältnisse nicht mehr allein das Maß der Dinge sind, sondern dass zudem auf die unterschiedliche Struktur der Krankenhäuser und den Grad der mit Leitungsfunktionen verbundenen Verantwortung abzustellen ist.

Im Unterschied zu den bis zum 31.12.2016 geltenden Funktionsmerkmalen für Leitungskräfte, die lediglich Differenzierungen nach der Anzahl der unterstellten Beschäftigten beinhalteten, werden nunmehr die Anforderungen z. T. anhand von unbestimmten Rechtsbegriffen definiert. Bei den von den Tarifvertragsparteien zur Unterscheidung zwischen einer Stationsleitung i. S. d. EG P 12 und der Leitung von großen Stationen  i. S. d. EG P 13 festgelegten Schwellenwerten der unterstellten Beschäftigten handelt es sich lediglich um ungefähre Richtgrößen. Eine tarifgemäße Eingruppierung erfordert heute zudem eine weit umfassendere Prüfung des übertragenen Schwierigkeits- bzw. Verantwortungsgrads.

Der Entscheidung des BAG ist daher zuzustimmen, da ein bloßes Abstellen auf die in der Vorbemerkung genannten Schwellenwerte der unterstellten Beschäftigten nicht der mit der neuen EntgO (VKA) verfolgten Zielsetzung der Tarifvertragsparteien gerecht wird. Die Entscheidung hat u. E. zudem grundsätzliche Bedeutung für die Bewertung sonstiger Tätigkeitsmerkmale, wie z. B. der Gruppen- und Teamleitung  (EG P 9 bis 11) sowie der Bereichs- oder Abteilungsleitung  (EG P 14 und 15). Auch hier erfordert die Bewertung der Tätigkeitsmerkmale aufgrund der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe eine sorgfältige Prüfung der im Einzelfall übertragenen Tätigkeiten.

Autorin

Marion Plesch
Tel: +49 30 208 88-1146
marion.plesch@mazars.de

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 2-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.