Vertragsarztsitz oder Praxis – Was wird verkauft?

28.09.2017 – Gleich in zwei Entscheidungen vom 21.2.2017 hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) nochmals mit der steuerrechtlichen Behandlung von im Rahmen des Praxiskaufs überzuleitenden vertragsärztlichen Zulassungen auseinandergesetzt.

BFH, Urteil vom 21.2.2017 – VIII R 56/14

Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 9.8.2011 – VIII R 13/08) wird bei dem Erwerb einer Vertragsarztpraxis in der Regel neben dem erworbenen Praxiswert kein weiteres immaterielles Wirtschaftsgut in Form des „mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils“ erworben. Dem vorliegenden Urteilsfall lag jedoch ein besonderer Sachverhalt zugrunde, der zu einer anderen Beurteilung führte:

Nach den vom BFH nicht beanstandeten Feststellungen des FG übernahm der Erwerber einer allgemeinärztlichen Praxis weder die materiellen Wirtschaftsgüter noch trat er in die Vertragsbeziehungen ein, die mit der Führung der Arztpraxis in Zusammenhang standen (z. B. Praxismietvertrag, Arbeitsverträge, Versicherungsverträge, Lieferverträge und sonstige praxisbezogene Dauerschuldverhältnisse). Die Patientenkartei sollte beim Verkäufer verbleiben und erst mit Zustimmung der Patienten sollten die jeweilige Patientenkarteikarte und die Krankenunterlagen tatsächlich ausgehändigt werden. Auch der Umstand, dass die Praxis von einem gut versorgten Gebiet in einen 25 km entfernten Ort verlagert wurde, sprach dagegen, anzunehmen, dass Patienten aus diesem Einzugsbereich sich nunmehr am neuen Standort von einem ihnen bislang unbekannten Arzt behandeln lassen. Auch konnte der Erwerber nicht nachweisen, jemals Patienten der übernommenen Praxis behandelt zu haben. Weiterhin war nicht erkennbar, dass der Kaufpreis der Höhe nach an der Ertragskraft der Praxis bemessen worden wäre.

Der BFH bestätigte die Auffassung des Finanzamtes und des Finanzgerichts, dass in diesem Fall keine „Praxis“, sondern lediglich der wirtschaftliche Vorteil aus der Vertragsarztzulassung verkauft wurde. Zugleich stellte er klar, dass der Kaufpreis nicht abgeschrieben werden könne, da keine Nutzungsdauer und kein Wertverzehr bestimmbar seien, u. a. weil der Erwerber seinerseits den wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsarztzulassung weiterveräußern könnte.

BFH, Urteil vom 21.2.2017 – VIII 7/14

In diesem Fall wurde eine radiologisch-nuklearmedizinische Praxis veräußert. Da der übergebende Arzt am bisherigen Standort weiterhin privatärztlich tätig sein wollte, wurde keine Praxisausrüstung und nur ein Teil des Personals übernommen. Allerdings wurde tatsächlich das gesamte Patientenarchiv übergeben. Die Übernehmerin war bereits in den Monaten vor der Übergabe im Rahmen eines „Schnupperpraktikums“ persönlich in der Praxis aktiv und konnte daher Kontakte zu Patienten und Überweisern herstellen. Nach der Übergabe wurde die Praxis im Nahbereich in Form einer Gemeinschaftspraxis, der auch die Übernehmerin angehörte, fortgeführt. Für die Ermittlung des Kaufpreises wurden Ertragswertgutachten für den kassenärztlichen Geschäftsbereich erstellt. Tatsächlich verhandelten die Parteien im Ergebnis sogar einen darüber liegenden Kaufpreis.

Während das Finanzgericht aufgrund des Umzugs in neue Praxisräume, der fehlenden Übernahme der Ausstattung und des über dem Verkehrswert liegenden Preises einen Erwerb nur der vertragsärztlichen Zulassung erkannte, beurteilte der BFH den Vorgang insgesamt als tatsächliche Praxisveräußerung.

Ob Gegenstand der Übertragung die Vertragsarztpraxis als Chancenpaket oder nur der wirtschaftliche Vorteil aus der Vertragsarztzulassung ist, ist ausgehend von den vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten und deren tatsächlicher Umsetzung im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu bestimmen. Bei dieser Gesamtwürdigung kommt insbesondere der Kaufpreisbemessung maßgebliche Bedeutung zu. Zahlt der Erwerber einen Preis in Höhe des Verkehrswerts der Vertragsarztpraxis, indiziert dies, dass die Praxis als Chancenpaket Gegenstand der Übertragung ist, da sich der Kaufpreis in diesem Fall maßgeblich nach der Patientenstruktur und der damit verbundenen Ertragskraft der Praxis richtet. Wird vom Erwerber sogar ein Zuschlag zum Verkehrswert (Überpreis) gezahlt, kann – entgegen der Ansicht des FG – nichts anderes gelten. Die Zahlung eines solchen Zuschlags zum Verkehrswert indiziert erst recht, dass Gegenstand der Übertragung die Praxis als Chancenpaket ist. Denn der Erwerber vergütet neben der Ertragskraft des Patientenstamms dann noch weitere wertbildende Faktoren der Praxis, die durch das Wirtschaftsgut Praxiswert verkörpert werden.

Sowohl die Fortführung in Form einer Gemeinschaftspraxis wie auch der Umzug in neue Räume sind für den BFH in diesem Fall mit Blick auf die sozialgesetzlichen Vorgaben unschädlich: Die Rechtsprechung des BSG verlange für eine Praxisfortführung i. S. d. § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V nicht, dass der Nachfolger eines ausscheidenden Vertragsarztes auf Dauer die bisherigen Patienten in denselben Praxisräumen mit Unterstützung desselben Praxispersonals und unter Nutzung derselben medizinisch-technischen Infrastruktur behandelt oder zumindest behandeln will. Dass die Übernehmerin bereits vor der Übertragung tatsächlich in der Praxis tätig wurde, wurde vom BFH als weiteres Indiz für die beabsichtigte Fortführung durch „Überweiserbindung“ angesehen.

Praxishinweis

Die steuerliche Beurteilung des Erwerbs einer Praxis als echter Praxiskauf oder aber lediglich Erwerb der vertragsärztlichen Zulassung erfordert immer eine Gesamtbetrachtung. Wichtigstes Indiz für einen Praxiskauf ist ein Kaufpreis, der sich an dem Ertragswert orientiert. Standortverlagerungen dürften dagegen unschädlich sein, soweit sie im gleichen Einzugsgebiet erfolgen und durch Maßnahmen zur Patienten- und/oder Überweisungsbindung gestützt werden.

Wird eine Praxis erworben, ist die Nutzungsdauer für die AfA zu schätzen. Die Finanzverwaltung geht von einer Nutzungsdauer von 3 bis 5 Jahren aus. Ist Vertragsgegenstand dagegen lediglich die Übernahme der Vertragsarztzulassung, ist eine Abschreibung mangels Wertverzehr nicht zulässig.

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Jens Krieger
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 2-2017. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.