Überschreibung eines Doppelbesteuerungsabkommens durch innerstaatliches Gesetz („Treaty Override“) ist verfassungsgemäß

Das BVerfG hat mit seinem Beschluss vom 15.12.2015 (2 BvL 1/12) entschieden, dass die abkommenswidrige Regelung des § 50d Abs. 8 EStG (in der Fassung des StÄndG vom 15.12.2003) nicht verfassungswidrig ist. Darüber hinaus und losgelöst von dem zugrunde liegenden Einzelfall beantwortet das BVerfG die fundamentale und seit Langem sehr umstrittene Frage zu Wirksamkeit und Rang eines DBA innerhalb der deutschen Rechtsordnung.

Der Beschluss betrifft die Frage, ob § 50d Abs. 8 EStG gegen das Grundgesetz („GG“) verstößt, weil er für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbstständiger Arbeit eine von den Regelungen eines DBA abweichende Besteuerung erlaubt. Nach den Regelungen in Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 lit. a S. 1 DBA-Türkei 1985 sind Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen in der Türkei erzielen, in Abweichung vom Welteinkommensprinzip von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen, also freigestellt.

Dies gilt allerdings gemäß § 50d Abs. 8 EStG nur, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die von ihm festgesetzten Steuern gezahlt wurden. Im Rahmen der Begründung setzt sich das BVerfG dezidiert mit der Rangordnung des DBA als völkerrechtlicher Vertrag i. S. d. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG auseinander und betont, dass diesem innerhalb der Normenhierarchie kein Rang über dem Gesetz einzuräumen ist. Konsequenterweise verbietet das GG daher eine Überschreitung der dort genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht. Ferner liegt weder ein Verstoß gegen die Völkerrechtsfreundlichkeit des GG noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (lex posterior-Grundsatz – das spätere Gesetz hat Vorrang vor dem früheren Gesetz) vor. Somit ist § 50d Abs. 8 EStG grundsätzlich anwendbar und geht als lex posterior dem DBA-Türkei 1985 vor. Unbeschränkt Steuerpflichtige haben daher ihre Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in der Türkei in Deutschland zu versteuern, falls sie die o. g. Nachweise nicht beibringen können.

Die Begründung widmet sich ferner dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und stellt eine Ungleichbehandlung fest. Diese sei jedoch durch einen sachlichen Grund in Form der Verhinderung von Missbräuchen im Anwendungsbereich von DBA gerechtfertigt.

Die Entscheidung über den sachlich-rechtlichen Gehalt des § 50d Abs. 8 EStG muss jedoch nicht unbedingt präjudizielle Wirkung haben. Vielmehr bleibt abzuwarten, ob die Missbrauchsverhinderung als sachlicher Rechtfertigungsgrund auch auf die weiteren umstrittenen Treaty-Override-Regelungen in § 50d Abs. 9 Nr. 1, Abs. 10 EStG (I R 4/13), § 50i EStG sowie § 20 Abs. 2 AStG Anwendung findet.

Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 3/2016. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.