Brexit – Was kommt auf die Unternehmen aus umsatzsteuerlicher und zollrechtlicher Sicht zu?

19.12.2016 – Nachdem insoweit Sicherheit besteht, als die Regierung in UK plant, im März 2017 den Antrag nach Art. 50 des Lissaboner EU-Vertrages zu stellen, werden verschiedene Modelle eines Austritts des UK aus der Europäischen Union diskutiert (z. B. EFTA- Modell, Schweizerische Lösung, Vertragsmodell WTO, Continental Partnership).

Selbst wenn derzeit noch völlig offen ist, welche Variante sich am Ende durchsetzen wird (aktuell wird dem Vernehmen nach die sog. ‚Continental Partnership‘ in UK präferiert), bleibt aus umsatzsteuerlicher Sicht festzuhalten, dass UK nach dem Austritt (ebenso wie Norwegen oder die Schweiz) nicht mehr zum Gemeinschaftsgebiet der Europäischen Union gehören wird. Dies bedeutet für die Unternehmen mit Liefer- und Dienstleistungsverkehr von und nach UK, dass die entsprechenden Regelungen der EU-Mehrwertsteuersystem-Richtlinie grundsätzlich nicht mehr zur Anwendung kommen. Denkbar ist jedoch, dass UK die derzeit geltenden EU-Regelungen für eine Übergangszeit als nationales Recht unverändert weiterhin gelten lässt. Unter dem Stichwort „Great Repeal Bill“ wird ein solches Vorgehen derzeit diskutiert.

Aus Sicht deutscher Unternehmen folgt daraus unter anderem:

  • Bei Warenlieferungen nach UK werden aus innergemeinschaftlichen Lieferungen (bei Vorliegen aller erforderlichen Voraussetzungen umsatzsteuerfreie) Ausfuhrlieferungen in das Drittlandsgebiet – mit anderen Beleganforderungen (z. B. würde die Gelangensbestätigung entfallen).
  • Vereinfachungen wie das innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft bei umsatzsteuerlichen Reihengeschäften (mehrere zivilrechtliche Kaufgeschäfte, aber nur eine Warenbewegung) würden entfallen.
  • Wareneinkäufe in UK sind nicht länger als innergemeinschaftliche Erwerbe (die in aller Regel nicht zu einer Liquiditätsbelastung führen) zu erklären, sondern werden als Importe betrachtet, für die Einfuhrumsatzsteuer (und vorbehaltlich etwaiger Befreiungen und Vereinfachungen und in Abhängigkeit von dem jeweils eingeführten Produkt) grundsätzlich auch Zoll anfallen würde.
  • Warentransporte von einem Unternehmensteil derselben rechtlichen Einheit aus UK zu einem anderen Unternehmensteil in Deutschland bzw. vice versa sind nicht länger als innergemeinschaftliches Verbringen zu qualifizieren und künftig unter Beachtung der zugrunde liegenden zollrechtlichen Vorschriften zu behandeln bzw. zu deklarieren.
  • Für Dienstleistungen an in Großbritannien ansässige Unternehmen muss der Nachweis der Unternehmereigenschaft künftig mittels ‚anderer‘ Nachweise und nicht mehr auf Basis der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erbracht werden.
  • Mit dem Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU sind auch für die Anwendung des Vorsteuervergütungsverfahrens die Rechtsvorschriften für Drittstaaten einschlägig. Dies führt unter anderem dazu, dass sich die Antragsfrist auf 6 Monate (30. Juni des Folgejahres) verkürzen würde und nicht mehr die 9-Monats-Frist für in der EU ansässige Unternehmen maßgebend wäre.
  • Warenlieferungen nach UK und Dienstleistungen an in UK ansässige Unternehmen sind nicht länger in der Zusammenfassenden Meldung zu erklären. Ebenso sind für Warenlieferungen bei Überschreiten der jeweiligen Meldeschwellen keine Intrastat-Meldungen abzugeben, sondern Extrastat-Meldungen erforderlich.

Diese Regelungen gelten grundsätzlich mit dem Tag des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Dies ist allerdings nicht der Tag der Antragstellung nach Art. 50 des Lissaboner EU-Vertrages. Maßgebend für die umsatzsteuerliche Beurteilung von Warenlieferungen ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Beginns der Beförderung bzw. Versendung. Der Zeitpunkt der (späteren) Rechnungsstellung ist irrelevant. Dies bedeutet, dass Warenlieferungen, die beispielsweise noch vor dem Zeitpunkt des Austritts beginnen und bei denen die Gegenstände der Lieferungen erst nach dem Austritt an den Empfänger gelangen, noch als innergemeinschaftliche Lieferungen klassifiziert werden müssten. Wareneinkäufe in UK, bei denen die Warenbewegungen vor dem Austritt aus der EU beginnen, gelten im Bestimmungsland noch als innergemeinschaftliche Erwerbe.

Zollrechtlich ist zu bedenken, dass grundsätzlich die direkte Geltung des Unionszollkodex ab dem Tag des Austritts entfällt. In der aktuellen Diskussion ist aus UK zu hören, dass es Überlegungen geben soll, die eine Zollfreiheit im Verhältnis zu den verbleibenden EU-Mitgliedstaaten zum Ziel haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es derzeit zwischen der EU und einzelnen Ländern sowie Ländergruppen eine nicht unerhebliche Anzahl von Freihandelsabkommen gibt, die Zollfreiheit oder niedrigere Zollabgaben bei der Wareneinfuhr regeln. Diese Abkommen müssen bei einem EU-Austritt UKs neu verhandelt werden. Bei einer durchschnittlichen Dauer von Vertragsverhandlungen für ein Freihandelsabkommen von etwa sieben Jahren dürften sich für die Unternehmen in der Zwischenphase erhebliche Unsicherheiten ergeben.

Während der zunächst auf zwei Jahre beschränkten Verhandlungsphase gelten die Regelungen der EU weiter, da UK weiterhin zunächst Mitgliedstaat der Europäischen Union sein wird. Die Zwei-Jahres-Frist kann unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. einstimmige Zustimmung der übrigen EU-Mitgliedstaaten) verlängert werden. Für diese Übergangszeit kommt es darauf an, auf welche Zwischenlösung sich UK und die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten verständigen werden. Dies bedeutet für die Unternehmen, ihre operativen Geschäftsmodelle und deren umsatzsteuerliche bzw. zollrechtliche Auswirkungen kontinuierlich zu überprüfen und ggf. notwendige Anpassungen vorzunehmen.

Wird die Zwei-Jahres-Frist nicht verlängert, scheidet UK zwei Jahre nach dem Zeitpunkt des „Art. 50-Antrags“ aus der EU aus und wird damit zum „Drittlandsgebiet“.

Nach der „Schockstarre“ der ersten Wochen und der nunmehr insoweit herrschenden Klarheit, dass UK im Frühjahr nächsten Jahres den Antrag stellen wird, ist den Unternehmen dringend anzuraten, die diversen diskutierten Austrittsmodelle u.a. auf ihre (umsatz)steuerrechtlichen Auswirkungen zu durchleuchten. Daraus ableitend sollten Unternehmen Szenarien für die operative Umsetzung entwickeln und bereits zu einem frühen Zeitpunkt mit wesentlichen Lieferanten, Kunden und sonstigen Vertragspartnern in die Diskussion treten. Dass die vermeintlich einfachen umsatzsteuerrechtlichen Änderungen zu nicht unerheblichen Anstrengungen in den Unternehmen führen, zeigen die im Folgenden aufgeführten Bereiche, für die Anpassungsbedarf besteht:

  • Prozesse (ggf. Änderung der Lieferkette: wer importiert die Ware in die EU, Lagerhaltung, Anpassung Buchnachweis )
  • IT-Einstellungen (z. B. Steuerschlüssel, „Wording“ auf Rechnungen)
  • Rechnungsstellung (u. a. Texte, Preis)
  • Preisgestaltung (z. B. wenn künftig Zoll auf die Ware anfallen sollte)
  • Zollrechtliche Bewilligungen / Vereinfachungen (z. B. Zolllager)

Sofern für die gelieferten Waren Zoll anfällt, ist zu prüfen, ob sich dieser Aufwand durch entsprechende Bewilligungen, Nutzung von Zolllagern und/oder geänderte Tarifierungen reduzieren lässt. Da der Zollaufwand nicht (wie beispielsweise die Vorsteuer) abzugsfähig ist, besteht für betroffene Unternehmen dringender Handlungsbedarf. Anderenfalls müsste der zusätzliche Aufwand in der Preisgestaltung berücksichtigt werden, was sich ggf. nur schwer operativ durchsetzen ließe.

Sollte Schottland dagegen in der EU verbleiben, müssten betroffene Unternehmen dies gesondert bei ihren Planungen und Anpassungen berücksichtigen.

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